Dr. Andre Baumann ist seit Mai 2016 Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg. Bis dahin war er langjähriger hauptamtlicher Vorsitzender des NABU Baden-Württemberg. Von der Natur zu lernen, die sich selbst überlassen ist, hält er für eminent wichtig. Nicht nur von Amts wegen, sondern gerade als überzeugter Naturschützer und Wissenschaftler.
Inzwischen ist der Nationalpark Schwarzwald vier Jahre alt. Wie haben Sie die Entstehung und diese ersten Jahre begleitet?
Dr. Andre Baumann: Ich war damals NABU-Landesvorsitzender. Wir hatten ein Screening für einen Nationalpark in Baden-Württemberg erstellen lassen. Wir wollten wissen, wo ein Nationalpark möglich ist. Im dicht besiedelten Baden-Württemberg gar nicht so einfach. Am Ende blieb der Nordschwarzwald übrig. Das Ergebnis des Screenings haben wir medienwirksam vorgestellt und an die betroffenen Gemeinden geschickt. Und so war die Diskussion um den Nationalpark Schwarzwald eröffnet.
Wie ging es dann weiter?
Baumann: Wir haben breit informiert, Personalressourcen bereitgestellt, Sympathiekampagnen durchgeführt, uns für den Freundeskreis Nationalpark Schwarzwald e. V. engagiert und versucht, den Prozess so gut wie möglich zu begleiten. Wir haben Gespräche mit Bürgermeistern und Landräten in der Region geführt, mit der Landesregierung und allen Landtagsfraktionen gesprochen und breit angelegte Medien- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht, um darzustellen: Der Nationalpark ist etwas Tolles!
Andre Baumann: „Mit den Grinden erhalten wir auch sehr wichtige Kulturlandschaften. Hier haben wir eine nationale Verantwortung.“
Wie erlebten Sie die Resonanz in der Öffentlichkeit?
Baumann: Es gab repräsentative Meinungsumfragen, die ergeben haben: Das Gros der Bevölkerung in Baden-Württemberg und auch in der Nationalpark-Region war dafür. Man spürte einen Ruck. Es gab aber auch einzelne Gemeinden und Teile der Bevölkerung, wo das nicht der Fall war.
Wie haben Sie in dieser kontroversen Auseinandersetzung als NABU agiert?
Baumann: Wir haben gesehen, dass es Sorgen und Ängste gab. Wir haben immer sachlich argumentiert und die Vor- und Nachteile dargestellt. Wir haben aber auch versucht, die Herzen anzusprechen. Ein Nationalpark ist ja auch etwas Emotionales und, wie ich finde, etwas Erhebendes. Unsere Gesellschaft sollte sich dazu entscheiden können, ein klitzekleines Stück unserer Heimat sich selbst zu überlassen, aus der Nutzung zu nehmen, einfach nur zu beobachten, zu staunen, zu erleben und dem lieben Gott über die Schulter zu schauen und zu lernen: Wie entwickelt sich ein neues Stück Wildnis?
Warum ist Ihnen das so wichtig?
Baumann: Für mich als Naturschützer, der auch lange in der Wissenschaft tätig war, ist es sehr bedeutend zu sehen, wie sich die Natur ohne den Einfluss des Menschen entwickelt. Der Mensch greift überall ein. Auch der Naturschutz greift in der Regel pflegend und gestaltend ein. Da sind Referenzflächen wichtig, auf denen wir beobachten können, was passiert, wenn nichts von Menschenhand passiert und Natur Natur sein darf. Gut, es gibt Bannwälder und Kernzonen in den Biosphärengebieten. Aber jetzt konnte man im Nationalpark auf größerer Fläche die Prozesse laufen lassen. Deshalb ist es gut und richtig, Monitoring zu betreiben und die Ressourcen dafür bereitzustellen. Denn die Ergebnisse sind zentral wichtig, auch für das Landmanagement außerhalb.
Wieso das?
Baumann: Die Wälder in Baden-Württemberg werden forstwirtschaftlich genutzt, bis auf die Bannwälder und die Waldrefugien. Die Bannwald- und Nationalpark-Forschung generiert ganz wichtige Ergebnisse für die Akteure, die ein Waldökosystem durch ihren Waldbau beeinflussen. So beobachtet man die natürliche Entwicklung, um das waldbauliche Vorgehen daran zu messen: Was muss ein Förster oder eine Försterin tun, um wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen, aber auch die anderen Waldfunktionen.
Was kann passieren, wenn der Mensch wirklich überhaupt nicht mehr eingreift?
Baumann: Ein Thema wird im Nationalpark sein: Wie gehen wir mit Neophyten und Neozoen um, also Pflanzen und Tierarten, die eingeschleppt wurden und hier nicht heimisch sind? Ich als mitteleuropäischer Naturschützer würde sagen, dass es ein Teil des Prozesses ist, wenn irgendwann einmal eine neue Tierart kommt, zum Beispiel der Waschbär. Riesen-Bärenklau würde man vielleicht an begangenen Wegen bekämpfen, um Wanderinnen und Wanderer vor Verbrennungen zu schützen. Aber abseits der Wege würde man ihn wachsen lassen. Prozessschutz heißt, dass es weder gute noch schlechte Arten gibt. Wenn man immer eingreift, weiß man gar nicht, ob sich vielleicht ein Gegenspieler entwickelt, der den Bestand zusammenbrechen lässt.
„In den Entwicklungszonen wird der Nationalpark auf die Freiheit vorbereitet.“
Wie beurteilen Sie die Entwicklung im Nationalpark seit der Eröffnung?
Baumann: So wie ich sie erlebe, beurteile ich die Entwicklung als sehr gut. Es war genau die richtige Entscheidung, mit einem gut ausgestatteten Nationalpark ins Rennen zu gehen. Wir möchten auch die Menschen, die in den Nationalpark kommen, gut empfangen und betreuen, sie informieren und mitnehmen. Sie sollen, wenn sie wieder nach Hause fahren, sagen: Das war ein toller Tag! Möglicherweise ändert sich etwas an ihrem Umgang mit der Natur. Dann war ihr Besuch nachhaltig. Und in der Natur darf sich auch etwas ändern, sie darf sich entwickeln, da gibt es kein Gut und kein Böse, da ist jede Entwicklung erlaubt. Es ist eben einfach so, wie es ist.
In welcher Weise müssen Sie sich jetzt in Ihrer neuen Funktion als Staatssekretär mit dem Nationalpark auseinandersetzen?
Baumann: Das ist eines unserer wichtigsten Naturschutzprojekte. Insofern spielt der Nationalpark für uns eine sehr große Rolle. Es vergeht kaum eine Woche, in der wir uns nicht damit beschäftigen. Und das ist auch gut so. Es geht nicht darum, ins operative Geschäft einzugreifen. Wir haben eine Nationalpark-Verwaltung, die sehr gut und in der Region verankert arbeitet. Es gibt manche Entscheidungen, mit denen eben ein Ministerium betraut ist. Das Umweltministerium ist im Nationalparkrat und im Nationalparkbeirat vertreten. Wir arbeiten sehr eng mit den Kommunen, Landkreisen und Verbänden des Nationalparkgebiets zusammen.
Wie groß ist mittlerweile der Konsens mit dem Koalitionspartner in Sachen Nationalpark?
Baumann: Das ist ein gemeinsames Baden-Württemberg-Projekt. Ich bekomme von vielen CDU-Mitgliedern gespiegelt, dass man sehr froh ist, dass hier jetzt eine große Einigkeit besteht. Auch ich bin froh, dass es die Streitpunkt der letzten Legislaturperiode nicht mehr gibt – denn es gibt nichts Konservativeres als einen Nationalpark.
Wie meinen Sie das?
Baumann: Konservativ im Sinne von Bewahren der Schöpfung.
Welche Entwicklungen würden Sie sich für den Nationalpark und die Nationalpark-Region noch wünschen?
Baumann: Ich freue mich über die deutlich gestiegenen Akzeptanzwerte – auch in den Gebieten, in denen die Zustimmung nicht so groß war. Und das ist ein wichtiges Ziel für uns. Dass wir die Menschen erreichen, dass aus Kritikern Befürworter oder zumindest Neutrale werden. Ich bekomme von Kritikern manchmal die Rückmeldung: Dass es so gut läuft, hätte ich nicht gedacht. Ich wünsche mir, dass wir die Akzeptanz für den Nationalpark weiter steigern. Und da ist nichts besser als eine gute, professionelle und ehrliche Arbeit.
„Naturforschung ist wichtig – wir möchten die Menschen informieren und auch von der Natur etwas lernen.“
Was erwarten Sie sich vom neuen Besucherzentrum?
Baumann: Ich bin ein großer Fan des Nationalpark-Zentrums – das wird ein Zentrum mit Wow-Effekt! Es wird großartig. Darum werden uns die anderen Nationalparke in Deutschland beneiden und ich kann den Tag der Eröffnung kaum erwarten. Ich hoffe, dass wir den ambitionierten Zeitplan auch einhalten. Es ist nicht trivial, in dieser Höhenlage ein solches Gebäude zu errichten. Es gibt einen langen Winter. Dort oben ist es mindestens eine Spur wilder.
Wo halten Sie sich im Nationalpark am liebsten auf?
Baumann: Ich freue mich über jeden Nationalpark-Termin, an dem ich über die Grinden wandern und zum Wilden See hinuntergehen darf, beobachten, staunen – auf den Grinden eine Kreuzotter erleben, im lichten Bannwald ein Auerhuhn entdecken, einen Dreizehenspecht hören. Die Dreizehenspechte sind gar nicht so scheu, sie hämmern fünf, sechs Meter entfernt und lassen sich nicht stören. Im Nationalpark erlebt man immer etwas – wenn man die Augen offen hält!