Bis zum Jahr 2044, so verlangen es die internationalen Kriterien, muss auch der Nationalpark Schwarzwald auf 75 Prozent seiner Gesamtfläche, also auf 7.500 Hektar Gelände, jagdfrei sein. Der Laie meint: Einfach aufhören und die Tiere Tiere sein lassen. Doch so einfach ist es nicht. Friedrich Burghardt, Leiter des Bereichs Wildtiermanagement im Nationalparkzentrum Ruhestein, kennt die Probleme einer Populationsentwicklung, wenn sie nicht gesteuert und langsam zum angestrebten Ziel geführt wird: „Die Tiere vermehren sich, verlassen eventuell vermehrt das Gebiet des Nationalparks und können in den angrenzenden Wirtschaftswäldern Schaden anrichten. Dies werden wir vermeiden, aber dazu bedarf es einer schrittweisen Anpassung und vor allem engen Abstimmung mit den betroffenen Anrainern“.
Für den Nationalpark ist diese Herausforderung nicht neu. Von Anfang an war klar, dass auch dies ein Thema sein würde, dass die Behörde über viele Jahrzehnte beschäftigen wird. Schon mit Eröffnung des Nationalparks begannen die Experten damit, Jagdstrategien zu optimieren und vor allem das Monitoring, also das Beobachten der relevanten Tiere, auszuarbeiten und zu perfektionieren. Dazu verfügt der Sachbereich über acht Mitarbeiter, darunter Berufsjäger, oder besser Wildhüter, sowie Wissenschaftler. Seit neuestem bietet der Nationalpark Schwarzwald auch die Möglichkeit, Auszubildende aufzunehmen, die den Beruf des Revierjägers beziehungsweise Wildhüters unter den besonderen Anforderungen des Schutzgebietes erlernen wollen. „Das ist ein weiterer Schritt zur Professionalisierung“, sagt Burghardt, denn die Maxime der Branche lautet: „Je kleiner die Fläche, desto gekonnter muss man vorgehen“. Und wer noch immer glaubt, dass ein Berufsjäger ausschließlich damit beschäftigt ist, Tiere zu schießen, der irrt.
Gemeinsam mit der Berufsfachschule im bayerischen Traunstein wird dem Jägernachwuchs auch das Monitoring, das Besendern der Tiere, um ihr Verhalten und die Wanderbewegungen nachvollziehen zu können, sowie Spuren- und Gebissanalyse beigebracht. Insbesondere geht es beim Wildtiermanagement um „raumbeanspruchende Großsäuger“, wie es im Fachjargon heißt: Hirsch, Reh, Wildschwein, aber auch deren Beutegreifer Luchs und Wolf. Es solle verhindert werden, so Burghardt, dass deren Zahl zu stark wachse und die Tiere das Territorium des Nationalparks verlassen. Aus seiner langjährigen Erfahrung weiß Burghardt, dass dies nicht zu hundert Prozent gelingen wird. Gerade deshalb sei es wichtig, die Anrainer einzubinden und darauf vorzubereiten. Anrainer sind hier im weitesten Sinne: Jagdverbände, Naturschutz, Tierschutz, Tourismus und die angrenzenden Gemeinden. „Wir möchten sie darauf vorbereiten, dass eventuell mehr Tiere kommen werden und wollen gemeinsam mit ihnen Strategien entwickeln, damit umzugehen“, sagt Burghardt.Da Wildtiere vom Gesetz her als „herrenlos“ betrachtet werden, gebe es auch keine klar definierte Zuständigkeit. „Bei wem ein Problem mit Wildtieren auftaucht, der muss es auch lösen“. Was die Situation im Schwarzwald erleichtert ist die Tatsache, dass es sich bei den angrenzenden Waldgebieten größtenteils um Staatsflächen handelt.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass auf die Beobachtung der Entwicklung der Wildtierpopulationen das Hauptaugenmerk gerichtet ist. Wie wachsen die Bestände, welches Territorium besiedeln sie besonders stark, wie sind die Wanderbewegungen? Dazu hat Burghardts Team, das er gerne als „eingeschworenen Haufen“ und auch als erfolgreiche „Bremer Stadtmusikanten“ bezeichnet, inzwischen über 100 Fotofallen aufgestellt. Zudem analysiert das Team Kotproben von Hirsch und Wolf, entnimmt den genetischen Fingerabdruck und erkennt daraus auch die Verteilung der Geschlechter. Abseits von Jagd und Monitoring gesellte sich zu Burghardts Team inzwischen sogar ein freischaffender „Mitarbeiter“. „Der Wolf, der seit einiger Zeit im Nordschwarzwald sesshaft ist, könnte unser wichtigster Jäger werden“, sagt Burghardt. Vier Hirschkühe hat er bereits gerissen und somit die natürliche Auslese gestärkt.
In diesem Jahr und damit sechs Jahre nach seiner Eröffnung hat der Nationalpark Schwarzwald sein erstes selbst gestecktes Ziel erreicht: 30 Prozent der Flächen sind jagdfrei, der nächste Schritt wird bei der 50-Prozent-Marke liegen, bis schließlich in 24 Jahren in nur noch 25 Prozent der Flächen reguliert wird. Gleichwohl sollte man sich jetzt nicht vorstellen, dass die Jäger tagtäglich nur noch den Finger am Abzug halten, um die Quoten zu erlangen. „Das tun wir sicher nicht“, sagt Burghardt. Es gehe vielmehr darum, die Jagdtechnik permanent zu verfeinern und die Regulation zum Wohle der Tiere insgesamt auch nur zwischen August bis Ende Dezember vorzunehmen. Ideologisch fühlt sich der 62-jährige Leiter des Sachbereichs Wildtiermanagement dem jetzt seit 100 Jahren bestehenden Schweizer Nationalpark verbunden. Dort gilt auf der gesamten Fläche das Motto: „Keine Axt, kein Schuss“. Die Erfahrungen aus der Schweiz zeigen, dass dies durchaus möglich ist, aber eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den Anrainern und den Wildhütern im Nationalpark voraussetzt. An dieser Vision arbeiten Burghardt und seine Wildhütertruppe.
Leiter des Sachbereichs für Wildtiermanagement
Friedrich Burghardt
Friedrich Burghardt ist Leiter des Sachbereichs für Wildtiermanagement im Nationalpark Schwarzwald. Der 62-Jährige fühlte sich schon immer der Natur, insbesondere den Tieren, verbunden und studierte evangelische Theologie mit Schwerpunkt Umwelt- und Tierschutzethik und anschließend Forstwissenschaften mit Schwerpunkt Wildbiologie. Nach seinem Studium arbeitete er als Forstreferendar am Schliersee, wo er sich vor allem mit dem Wildtiermanagement im Hochgebirge befasste. Weil er „Lust auf Afrika“ hatte, arbeitete er im Auftrag des Deutschen Entwicklungsdienstes sechs Jahre in der Pufferzone des Gonarezhou Nationalparks in Simbabwe. Hier erarbeitete er sich die Grundlagen für seine jetzigen Aufgaben im Nationalpark Schwarzwald.
Nach einer weiteren Station im Südschwarzwald, wo er bei der Erarbeitung der Rotwildkonzeption Südschwarzwald mitarbeitete, hat er nun die Stelle „von der ich eigentlich mein Leben lang geträumt habe“. Sein Wunsch ist es, für den Nationalpark Schwarzwald noch solange zu arbeiten, bis er 50 Prozent jagdfrei ist. „Danach gehe ich wieder nach Afrika oder Sibirien“.