Der 88-jährige Hans Peter Baumann hat gute Erinnerungen an seine Zeit im Kinderheim „Waldheim“ in Freudenstadt. Hier lebte er in seiner Kindheit und verbrachte viel Zeit mit Wanderungen im Gebiet des jetzigen Nationalparks. Denn Wandern war eine häufige – da preiswerte – Freizeitbeschäftigung für die Heimkinder. Und ein Himbeerbonbon zur Belohnung bedeutete für die Knirpse einen seltenen Hochgenuss.
„Meine Erinnerungen gehen zurück an eine wunderschöne Kindheit im Kinderheim ‚Waldheim‘ in Lauterbad bei Freudenstadt. Unvergesslich sind mir die vielen, vielen Wanderungen auf den Schwarzwaldhöhen. Die Täler und Wasserfälle mussten wir Heimkinder alle erwandern – auch auf Skiern im Winter. Manchmal fuhren wir mit der Bahn oder dem Postbus, der die Schwarzwald-Hochstraße befuhr. Der Busfahrer drückte (zumindest, wenn wir Kinder mit im Bus waren) ab und zu auf die Hupe mit dem wunderbaren Hornklang, welche es nur für Postbusse gab.
Besonders in Erinnerung habe ich eine Wanderung an das Euting-Grab, von dem aus man auf den Wilden See hinunterschauen konnte. Als Wanderführer waren die Heimleiterinnen und Oberbaurat i. R. Steudel dabei. Dieser alte Herr, von uns Kindern mit „Vater“ angesprochen, wusste einfach alles, so kam es uns vor; auch alle Wege kannte er. Ich weiß noch, dass es im Sommer vor meiner Einschulung gewesen sein muss, als wir den Ausflug zum Ruhestein machten. Wir fuhren mit dem Bus bis zum Gedächtnishaus Schliffkopf und wanderten von dort weiter zum Euting-Grab. Da sahen wir den Rhein glitzern und ganz klein das Münster von Straßburg. Sonst war der Weg arg langweilig – ich habe nach Kreuzottern geschaut, aber leider keine gesehen. Auch lockten uns Kinder natürlich die Heidel-, Rausch- und Preiselbeeren mehr als die Aussicht.
„So gut wie echte Himbeeren!“
Als wir am Ruhestein waren, sind wir zum Vesper nicht eingekehrt, das war zu teuer. Jeder von uns hatte einen Rucksack mit Vesper und einer Regenjacke dabei. Zum Vespern gab es Knäcke-, Marmelade- und Früchtebrot, zum Trinken Tonic-Sirup mit Quellwasser. Das war ganz arg gut! Dann stiegen wir den Berg hinter dem Hotel hinauf zu einem Grabstein und haben zum See hinuntergeguckt. Dabei erzählte Vater Steudel, dass hier sein Freund Euting beerdigt sei, mit dem er auch gewandert sei, und der habe ganz viele fremde Sprachen verstehen und auch sprechen können, deshalb sei er Professor geworden. Dann kam die ganz große Überraschung: Unser „Vater“ machte ein rundes, ganz buntes Büchslein auf, welches er in einer Tasche hatte, neben einer großen Uhr, die an einer Kette war. Wir durften aus dem Büchslein ein großes Himbeerbonbon nehmen, das hat so gut wie echte Himbeeren geschmeckt, und das konnte man sehr lange lutschen.
Dann gingen wir wieder hinunter und in das Hotel Ruhestein. Dort waren alle Tische gedeckt, und es gab Kaffee und Kuchen und für uns Kinder Kakao – und das war alles umsonst. Denn der Freund Euting hatte zu unserem „Vater“ gesagt, wenn er einmal tot sei, solle es für seine einstigen Freunde zu seinem Geburtstag immer umsonst Kaffee und Kuchen im Hotel Ruhestein geben.
Als wir auf dem Rückweg das erste Stück auf der Straße Richtung Bushaltestelle Obertal gingen, taten mir meine Blasen an den Füßen durch meine neuen Schuhe ganz arg weh, und ich konnte kaum mehr laufen. Da kam plötzlich ein Auto oben die Straße herunter – und welch ein Jubel, es war unser Kinderarzt Dr. Beer! Er fragte gleich, ob er helfen könne; er hat mich verarztet, und ich durfte in seinem Auto die weite Strecke bis ins Kinderheim heimfahren. Das war ein unvergessliches Erlebnis – schade, dass ich noch nicht in die Schule gegangen bin, den Mitschülern hätte ich erzählt, wie der Doktor die vielen Kurven „gekratzt“ hat, sodass ich als Beifahrer hin- und hergeworfen wurde. Das war meine erste Autofahrt mit vielen Kurven, und die war höllisch! Meine Mitheimkinder durften aber von Baiersbronn mit dem Zahnrad-Zug zumindest bis zum Stadtbahnhof Freudenstadt fahren. Trotz weiter Wege und Blasen an den Füßen – es war eine wunderschöne Zeit im Schwarzwald, und das Himbeerbonbon, das habe ich in Gedanken immer noch im Mund!“
Information:
Hans Peter Baumann liebt den Schwarzwald seit der intensiven Wanderzeit in seiner Kindheit. Seine Liebe zur Region, die ihm zur Heimat wurde, machte ihn zudem zu einem passionierten Heimatforscher. Ihm wurden in dieser Funktion auch zahlreiche wertvolle Glasplatten-Aufnahmen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg überlassen. Sie zeigen unter anderem den Tourismus im Schwarzwald vor mehr als hundert Jahren. Die Fotografien wird es auch im neuen Infozentrum des Nationalparks Schwarzwald, das 2018 eröffnet wird, im Rahmen einer Dauerausstellung zu sehen geben.
Alle aktuellen Termine und Hinweise finden Interessenten auf der Homepage des Nationalparks Schwarzwald:
www.nationalpark-schwarzwald.de
(Fotos: Bernd Helbig, Archiv Hans Peter Baumann, Ivonne Wierink)