Interview
Geradezu gespenstisch sei es gewesen, sagt Michael Krause. Leere Straßen, leere Hotels, leere Gastronomie. „Tourismus fand defacto nicht mehr statt!“ Der lang gediente Tourismusdirektor aus Freudenstadt blickt mit Schaudern zurück auf das Frühjahr 2020 und die folgenden Monate, als Corona das Leben auf den Kopf stellte. Doch inmitten der Krise erwuchs wie Phoenix aus der Asche eine unerwartete Chance, die Krause und seine Stellvertreterin Carolin Moersch im Gespräch zusammenfassten: „Die Deutschen entdecken ihr eigenes Land“. Und der Blick in die Zukunft fällt wieder optimistisch aus.
Seit April hat eine Vielzahl von Einschränkungen, Verboten und Handlungsempfehlungen unser Leben dramatisch verändert. Die Stadt Freudenstadt lebt stark von den Menschen, die sie besuchen. Wie waren die vergangenen sechs Monate für Sie?
Krause: Katastrophal. Herausragenden Zahlen im Januar und Februar folgte der Totalabsturz. Bis zu 96 Prozent Rückgang an Übernachtungen im April; über das erste Halbjahr gesehen fast 50 Prozent Einbruch im Vergleich zum Vorjahr. Es gab praktisch keinen Tourismus mehr.
Die Stadt hat ihrem Handel, Gastronomie und den Tourismustreibenden durch Stundungen von Pachten unter die Arme gegriffen?
Krause: Ja, es war unser vorrangiges Ziel, unseren heimischen Betrieben zu helfen. Mit der Stundung von Pachten und anderen Abgaben konnten wir ein wenig helfen. Wir wissen allerdings alle nicht, was der Winter bringt, aber ich hoffe, dass alle über den Berg kommen.
Moersch: Es ist kaum zu glauben: Bei Übernachtungen und der Ausflugsgastronomie fantastisch. Seit Juli nahmen die Buchungen rapide zu und im Herbst haben wir eine außergewöhnlich gute Auslastung zu verzeichnen. Leider gibt es im Handel noch Nachholbedarf, und insgesamt gesehen werden die guten Zahlen des Herbstes die Einbußen aus dem Frühjahr auch nicht ausgleichen können. Aber wir sehen mit einem guten Gefühl in die Zukunft.
Krause: Es ist etwas Überraschendes geschehen, das wir auch als Chance begreifen müssen. Bei all den uns auferlegten Einschränkungen haben die Menschen endlich wieder ihren Blick auf ihre Heimat, also Deutschland, gerichtet. Der Sprung über die Grenzen oder die Fernreisen blieben aus, stattdessen suchte man Natur und in gewissem Sinn auch Geborgenheit. Und hier hat der Schwarzwald eine außerordentliche Qualität zu bieten.
Inwiefern werden Sie Ihre touristischen Angebote auf diese Situation anpassen?
Krause: Wir werden verstärkt genau diese Qualitäten – Natur, Erholung, Service, Geborgenheit, Entspannung, Kulinarik herausstreichen müssen. Und wir werden mehr noch als in der Vergangenheit die Zertifizierung unserer Tourismusbetriebe vorantreiben und deren herausragende Qualität betonen. Vor rund 20 Jahren gab es ein Hotelsterben in Freudenstadt. Diese Zeit ist Gott sei Dank vorbei. Heute stehen wir dank vieler verantwortungsbewusster und innovativer Unternehmer außerordentlich gut da.
Moersch: Leider lockt man derzeit mit Veranstaltungen keine Kunden. Das ist sehr bedauerlich und auch schrecklich für diese Branche, die extrem leidet. Also müssen wir mit unserer Outdoor-Qualität punkten. Schon unsere eigene touristische Re-Start-Kampagne im Sommer hatte diese Themen aufgegriffen: „Natur spüren“, „Freiheit atmen“ oder „Innen Stadt, außen wild“ hießen unsere auffordernden Slogans.
Im Januar 2014 wurde ganz in Ihrer Nähe der Nationalpark Schwarzwald gegründet. Spüren Sie Auswirkungen auf die Stadt?
Moersch: Der Nationalpark ist eine wunderbare Einrichtung. Ein Großschutzgebiet, das seine Wirkung aber erst in vielen Jahrzehnten voll entfaltet. Touristisch ist er aber erklärungsbedürftig, weil die Menschen von einem Nationalpark zunächst anderes erwarten. Sie denken dabei an die großen amerikanischen Parks mit touristischer Infrastruktur. Das aber ist der Nationalpark Schwarzwald nicht.
Krause: Ich gehe davon aus, dass mit der Eröffnung des wunderbaren Nationalparkzentrums im Oktober ein erster richtiger touristischer Akzent gesetzt wurde. In einem Jahr werden wir sehen, wie sich die Besuchs- und Übernachtungszahlen verändert haben.
Krause: Es ist in erster Linie ein politisches Signal der Geschlossenheit. Es gibt sicher auch gute, deutlich überregionale und internationale Vermarktungsansätze. Aber der Verbund ist kein Ersatz dafür, dass wir touristisch selbst für uns sorgen müssen.
Die beteiligten Kommunen haben zum Teil stark unterschiedliche, auch landsmannschaftlich bedingte Stärken, die sichkaum in einer gemeinsamen Strategie ausdrücken lassen. Unser aller gemeinsamer Nenner ist aber Natur, Wandern, Radfahren. Und das ist doch ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt.
Gemeinsam mit Baiersbronn wird Freudenstadt Ausrichter der Gartenschau 2025. Laufen die Vorbereitungen nach Plan? Worauf liegt derzeit der Schwerpunkt der Maßnahmen?
Krause: Darauf sollten sich die Menschen jetzt schon freuen. Derzeit erarbeiten wir die Daueranlagen, also das, was nachhaltig von einer Gartenschau übrigbleibt. Hier hat das Büro Senner aus Überlingen einen tollen Entwurf vorgelegt. Hauptziel für uns die Aufwertung von Friedrichstal und Christophstal und eine funktionierende technische Anbindung des Christophstal an den Marktplatz Freudenstadt.