Dr. Markus Rösler (MdL) über die Anfänge des Nationalpark Schwarzwald, über Wert und Besonderheiten, internationale und nationale Naturschutzrichtlinien – und über den richtigen Zeitpunkt für einen nächsten Schritt.
Dr. Rösler: Sogar ein riesengroßer Fan, vor allem aber ein Mitstreiter der ersten Stunde. Vielen ist gar nicht bekannt, wie der Nationalpark Schwarzwald zustande kam. Die Idee dazu hatte Dr. Volker Späth vom NABU – Institut für Land- schaftsökologie in Bühl. Vorgestellt hat er sie am 12.Oktober 1991 bei einem Vortrag in Süßen. Damit begeisterte er mich genauso wie meinen Freund Professor Michael Succow, der damals mit mir unter den Zuhörern war. Succow ist Vater des DDR-Nationalparkprogrammes, wofür er 1997 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Dieses Programm aus dem Jahr 1990 hat Späth inspiriert und zu seiner Idee motiviert.
Wie kamen Sie damals mit Succow in Kontakt?
Dr. Rösler: Über ein Stipendium war ich schon 1988 in der DDR und hatte viel mit den dortigen Naturschützern zu tun. Das war eine faszinierende Zeit für mich und die Grundlage für die Freundschaft mit Professor Succow. Er wurde in der Übergangszeit stellvertretender Umweltminister. In dieser Funktion holte er viele Fachleute ins Ministerium. Mit ihnen entwickelte er das Nationalpark-Programm, das in der letzten Sitzung des Ministerrats der DDR am 12. September 1990 beschlossen wurde. Fünf Nationalparke, sechs Biosphärenreservat und drei Naturparke wurden damit geschützt, später waren es über 30 Großschutzgebiete in den neuen Bundesländern. Klaus Töpfer, damals Umweltminister der Bundesrepublik, bezeichnete das Programm als „das Tafelsilber der Deutschen Einheit“.
Dr. Rösler: Wenn wir Verantwortung für die Schöpfung, für unser Naturerbe übernehmen möchten, müssen wir die biologische Vielfalt der Erde erhalten. Ein Teil dieser Arten kann aber nur auf ungenutzten Flächen überleben. Etwa die Zitronengelbe Tramete (Pilz) oder der Weißrückenspecht. Wir Menschen haben daher die moralische Verpflichtung, Flächen, die wir nicht nutzen, für diese Arten einzurichten. In Deutschland verfolgen wir die nationale Biodiversitätsstrategie. Sie besagt, dass zwei Prozent der nationalen Land-flächen ungenutzt sein sollen. Deutschland hat nur wenige Flächen, die nicht bewaldet sind Hochgebirge, Moor und Wattenmeer. Das heißt im Umkehrschluss, dass gut fünf Prozent der Waldfläche Deutschlands ungenutzt bleiben müssen. Und mit Rücksicht auf Eigentumsverhältnisse sind das etwa zehn Prozent der Wälder, die Staat oder Länder gehören und für natürliche Prozesse zur Verfügung gestellt werden sollen. Motto: „Natur Natur sein lassen.“
Was limitiert noch?
Dr. Rösler: Nicht jede Fläche eignet sich als Nationalparkgebiet. Je größer die Fläche, desto geringer sind die Einflüsse von außen. Eine Mindestgröße von 10.000 Hektar ist dafür in den Qualitätskriterien und -standards für Nationalparke in Deutschland festgelegt. Außerdem ist das Eigenrecht der Natur um ihrer selbst Willen bei uns gesetzlich verankert. Das ist die natureigene Begründung eines jeden Nationalparks. Es bedeutet, die Natur und die in ihr stattfindenden Prozesse völlig in Ruhe zu lassen, selbst wenn bestimmte Arten darin aussterben. Denn nicht die Erhaltung der Arten- vielfalt ist Ziel eines Nationalparks, der Prozessschutz ist es. Das wird immer wieder falsch verstanden. Wir schauen nur zu, erforschen, beobachten, bestaunen diese Prozesse und Zusammenhänge und versuchen sie zu verstehen. Das kann man nur in einer Natur, die sich selbst überlassen wird.
Wer setzt die Standards für Nationalparke im internationalen Kontext?
Dr. Rösler: Das übernimmt die IUCN (International Union for Conservation of Nature). Mitglieder sind sowohl alle Staaten als auch die großen, weltweit agierenden Naturschutzverbände wie der WWF oder der NABU. Innerhalb der IUCN gibt es die WCPA (World Commission on Protected Areas). Diese Kommission kümmert sich speziell um Schutzgebiete. Sie definiert auch die sechs Kategorien von Schutzgebieten. Diese reichen vom Wildnisgebiet über National Parcs bis zum Ressourcenschutzgebiet. „NationalParc“ ist die Kategorie zwei. Der Begriff ist eine weltweite Marke, selbst das Wort existiert in fast allen Sprachen.
Kann man eine weltweite Blaupause für Europa und Deutschland anlegen?
Dr. Rösler: Jein. Großschutzgebietsexperten aus ganz Europa haben 1997 bei einer internationalen Tagung beschlossen, die Definition für Nationalparke in unseren dichtbesiedelten Kontinent etwas zu variieren. Ungenutzte Flächen gibt esin Europa so gut wie nicht. Eine Studie zeigte Schilifte in den Kernzonen von Nationalparken in Makedonien genauso wie Jagd in fast allen Kernzonen quer durch Europa, selbst Waldbewirtschaftung samt Pflanzung von Bäumen war weit verbreitet. So vereinbarten wir – ich durfte damals mit dabei sein –, dass „Entwicklungsnationalparke“ zulässig sind: Das heißt, über maximal 30 Jahre dürfen Flächen zum Nationalpark entwickelt werden. In dieser Zeitspanne ist es erlaubt, natürlichen Prozessen auf die Sprünge zu helfen. Diese Vereinbarung kam 2002 ins Bundesnaturschutzgesetz, vorher war das nicht zulässig. Kaum einerweiß noch, dass der Nationalpark in der niedersächsischen Elbe gerichtlich aufgelöst werden musste, weil über 50 Prozent der Fläche genutzt waren und ein Entwicklungsnationalpark gesetzlich noch nicht zugelassen war.
Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach der Nationalpark für die Region Schwarzwald?
Dr. Rösler: Sehr wichtig. Der Naturraum Schwarzwald erstreckt sich über gut 800.000 Hektar. Wenn nun einige Tausend Hektar zusätzlich aus der Nutzung herausgefallen sind, ist das mitBlick auf die Gesamtfläche nicht dramatisch, aber für das Image, den Tourismus und die Ökonomie des Schwarzwalds ist diese Fläche von unschätzbar großem Wert. „Nationalpark“ ist eine weltweite und positiv besetzte Marke. Die kritischen Stimmen sindweitgehend verstummt, die Akzeptanz inzwischen sehr hoch. Das ist erfreulich. Deshalb können wir mittlerweile auch offen über eine Gebietserweiterung sprechen.
Gibt es dazu schon Konkretes zu sagen?
Dr. Rösler: Drei der 16 Nationalparke in Deutschland sind zweigeteilt: Der Müritz-Nationalpark, der Nationalpark Sächsische Schweiz und der Nationalpark im Nordschwarzwald. Das ist nicht optimal, denn natürlich sollte solch eine Flächemöglichst kompakt sein. Der Wunsch, das zu ändern, war immer da. Doch zwischen den Teilen liegt eine relativ große undzusammenhängende Fläche, die der Murgschifferschaft gehört. Schon 2011 wurden Gespräche über einen möglichenGrundstückstausch geführt. Damals war die Zeit noch nicht reif. Ich denke und hoffe, sie ist es jetzt.
Was stimmt sie so zuversichtlich?
Dr. Rösler: In den letzten fünf Jahren konnten die Argumente gegen den Nationalpark durch die Praxis widerlegt werden: Im Nationalpark wurden weder Zäune aufgestellt, die den freien Zugang behindern, noch wurden Privatwälder in den Nationalpark integriert. Auch kein Borkenkäfer kam bis an die Hotelzimmer, wie esoft überspitzt formuliert wurde. Im Gegenteil: Der Tourismus hat vom Nationalpark profitiert. Das Borkenkäfermanagement hat in den fünf teils sehr trockenen Jahren bewiesen, dass die Zusammenarbeit mit Förstern und Pächtern benachbarter Wälder funktioniert. Ein Argument jedoch war schon immer richtig: Die Sägewerke haben durch den Nationalpark weniger verfügbares Holz. Das nehmen wir ernst. Deshalb stellt das Land anderes Holz aus Landesbesitz zur Verfügung.
Das klingt nach einer guten Basis für neue Gespräche.Dr. Rösler: Ich denke, dass es Zeit ist, mit den Eigentümern erneut das Gespräch zu suchen und genau zu prüfen, welche Gebiete getauscht werden könnten. Das wünsche ich mir für die nächste Legislaturperiode. Ob es zu einem Flächentausch kommt, der dazu führt, dass die beiden Teilflächen des Nationalparks zusammenwachsen können, wird man sehen. Dieser Tausch muss natürlich freiwillig geschehen und fair ablaufen. Schließlich sprechen wir hier nicht von einem dünnen Streifen, sondern von einigen Tausend Hektar. Eine kompakte Fläche zu haben, würde im Übrigen auch die Randzonen reduzieren und das verringert Einflüsse von außen und macht das Borkenkäfermanagement weniger aufwändig.
Worin liegt Ihrer Ansicht nach die große Stärke des Natio- nalpark Schwarzwald?
Dr. Rösler: Meiner Meinung nach hat sich seine größte Stärke bereits bei der Planung gezeigt: Es war ein Glücksfall, dass schon damals weitsichtige Verantwortliche am Ruhestein saßen. Bezüglich des Personalbedarfs haben sie formuliert, was fachlich erforderlich wäre. Zwar wurde die Zahl eingedampft, doch letztlich haben wir70 Expertenstellen neu ausgeschrieben, auch in den Bereichen Umweltbildung, Forschung oder Kommunikation, wo nun auch viele kompetente Frauen arbeiten. In anderen Wald-Nationalparken überwiegt der Männeranteil teils immer noch extrem, weil fast ausschließlich die alten Forstverwaltungen übernommen wurden. Eine gute Balance der Geschlechter und der Einsatz von neuem, externem Fachwissen waren im Nationalpark Schwarzwald von Beginn an erwünscht und gesucht. Das ist in dieser Ausprägung einmalig im Bundesvergleich. Ab jetzt freue ich mich ganz besonders auf die Eröffnung des ebenfalls hoch innovativen Besucherzentrums am Ruhestein!