Zwischen romantisieren und eliminieren
Gernot Fröschle ist eine imposante Erscheinung. Groß und kräftig in der Statur, wuchtig in der Stimmlage und schonungslos, wenn es darum geht, Positionen zu verteidigen. Dies hat Fröschle in den Jahren vor der Nationalparkgründung zum Gesicht der erbitterten Gegner gemacht. Er war der Bannerträger all jener, die mit dem Nationalpark die Apokalypse auf den Schwarzwald zukommen sahen. Fünf Jahre nach der Gründung sind viele Widerstände abgebaut, Gräben zugeschüttet, und einige der Widerständler, denen Fröschle seinerzeit Stimme und Gesicht verlieh, sind enttäuscht darüber, dass der Vorkämpfer von einst inzwischen einiges relativiert. Er sehe den Nationalpark auch heute noch skeptisch, sagt er, gibt aber zu, dass vieles von dem, was befürchtet worden war, nicht eingetreten ist. Und überhaupt geht es ihm ums große Ganze, wenn er sagt: „Der Nationalpark kann für die Umwelt nicht gutmachen, was täglich im Land kaputt gemacht wird“.
Mit seinem damaligen Widerstand gegen den Nationalpark hat Gernot Fröschle regionale Bekanntheit erlangt, weit darüber hinaus hallt sein Name jedoch seit dem April 2018, als ausgerechnet bei ihm der Wolf mit dem Kürzel „GW852m“ 40 seiner Schafe riss und ein fürchterliches Blutbad anrichtete. Entgegen der Vorgabe seines Fachverbandes informierte Fröschle umgehend die lokale Zeitung und den Südwestrundfunk und brachte damit eine Debatte in Gang, die bis heute nicht abgeschlossen ist. „Ich wollte, dass dieses Thema offen diskutiert und nicht hinter verschlossenen Türen seicht behandelt wird“, sagt Fröschle. Der Coup, wenn man es so nennen mag, ist gelungen. Der Zwischenfall wurde zum bundesweiten Medienhype. Politiker, Interessensvertreter, Experten jeglicher Coleur ringen seither nach einer Lösung im Umgang mit dem Wolf. Zwischen romantisieren und eliminieren gibt es kaum einen Standpunkt, der nicht vertreten wird. Dabei sprechen wir von einem einzigen Exemplar, das bisher im Schwarzwald sesshaft geworden ist. Eigentlich grotesk!
Doch auch hier überraschte Fröschle. Wer geglaubt hatte, dass er, der leidenschaftliche Weidetierhalter, der fünf Schaf- und drei Rinderherden sein Eigen nennt, nun mit brachialer Wut gegen den Wolf zu Felde ziehen würde, musste erkennen, dass der Schäfer sehr viel differenzierter sein kann. Er wurde diesmal nicht zum Bannerträger der Abschussfetischisten, sondern verlangt nach Lösungen, die Weidetierhaltung und Wolf gemeinsam ermöglichen. In einem Gespräch mit dem Nationalparkmagazin sagt Fröschle, was ihn bewegt.
Wir sitzen auf der Terrasse von Hubertus Welt, Vorstandsmitglied des Freundeskreises Nationalpark. Wenn man Idylle sucht – hier im Enztal, unweit von Bad Wildbad entfernt, ist sie zuhause. Welt und Fröschle waren erbitterte Gegner während der Nationalparkgründung, doch sie schätzen und mögen sich, und sie eint ihre Liebe zur Natur. Und sie sprechen beide dem Wolf sein Existenzrecht nicht ab.
NLP-Magazin: Wie ist Ihnen der 29. April 2018 in Erinnerung geblieben?
Fröschle: „Das werde ich nie vergessen. Ich bin morgens um 6 Uhr zu meiner Herde und habe dieses unbeschreibliche Elend vorgefunden. Tote und dem Tod geweihte Tiere, ertrunkene Kadaver, und der Rest der Herde hatte sich völlig verstört in einer Ecke der Weide zusammengekauert.“
NLP-Magazin: Hatten Sie Vermutungen den Grund betreffend?
Fröschle: „Ich dachte sofort an den Wolf. Seine Existenz in unserer Gegend war ja zu dem Zeitpunkt schon bekannt. Ich habe dann sofort die Medien informiert, weil ich nicht wollte, dass der Vorfall möglicherweise verniedlicht wird“.
NLP-Magazin: Das Echo war gewaltig
Fröschle: „Ja, und das war wichtig. Es ist eine Diskussion in Gang gekommen, die aber noch nicht abgeschlossen ist. Es wurden zwar Gesetze geändert, aber sie lösen das Problem für uns Weidetierhalter nicht.“
NLP-Magazin: Was meinen Sie damit?
Fröschle: „Auch wenn es mich getroffen hat, bin ich keiner, der den Wolf deshalb eliminieren möchte. Da mag ich einige meiner Kollegen enttäuschen, aber ich kämpfe für Lösungen die dem Wolf trotz Weidetierhaltung sein Existenzrecht lassen.“
NLP-Magazin: Was schwebt Ihnen vor?
Fröschle: „Meine Familie ist schnell und unbürokratisch für unseren Verlust entschädigt worden, und es wurden bessere Elektrozäune subventioniert. Das war und ist gut. Doch wenn wir die Koexistenz mit dem Tier erreichen wollen, müssen wir Weidetierhalter inzwischen einen viel größeren Aufwand betreiben als früher. An einem Beispiel festgemacht: Meine Herde wurde attackiert, weil der Wolf über den Fluss kam. Das heißt, ich muss heute auch diesen Bereich abzäunen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern, in denen zum Teil riesige Weideflächen existieren, sind wir hier sehr kleingliedrig unterwegs. Wenn abgegrast ist, müssen wir die Zäune woanders wiederaufbauen. Das war schon vor dem Wolf kaum zu schaffen, jetzt ist es existenzbedrohend. Es gibt noch keinen Ausgleich für diesen Mehraufwand“.
Hubertus Welt: „Es gibt Aufwandsentschädigungen, die sich an der Fläche orientieren. Das ist im Schwarzwald aber nicht sinnvoll umzusetzen. Wir haben hier meist kleine, aber sehr viele Flächen, viele Hanglagen und damit einen enormen Umzäunungsaufwand.“
NLP-Magazin: Wäre es also nicht besser, denen zuzustimmen, die den Wolf ein für alle Mal erledigen wollen?
Welt: „Wir stehen erst ganz am Anfang unserer Erfahrungen mit dem Wolf. Er ist ein kluges und scheues Tier. Mehr als 70 Prozent der Bürger bewerten die Rückkehr des Wolfs grundsätzlich positiv. Das zeigt doch, dass das Bewusstsein für die Bedeutung der Artenvielfalt gewachsen ist. Wenn also eine Gesellschaft den Wolf will, muss die Gesellschaft auch die Nachteile für den Einzelnen, also in diesem Fall den Weidetierhalter, ausgleichen. Ganz davon abgesehen, fällt der Weidetierhaltung eine besondere Bedeutung bei der Landschaftspflege zu. Ohne sie müssten ständig Mähtrupps dafür sorgen, dass das Landschaftsbild erhalten bleibt. Das würde Unmengen kosten. Also ist es doch besser, den Mehraufwand beispielsweise für Schäfer zu entlohnen.“
Fröschle: „Auch wenn ich mir bei meinen Kollegen keine Freunde mache: man kann doch nicht alles aus dem Weg räumen, was einem nicht in den Kram passt.
Ich unterstelle, dass Weidetierhalter gewohnt sind hart zu arbeiten und auch einen Mehraufwand zum Schutz ihrer Tiere zu leisten bereit sind. Dazu bedarf es aber anderer Rahmenbedingungen. Wenn wir gemeinsam dafür kämpfen, brauchen wir keine Angst vorm Wolf zu haben.“