Verwurzelte Wege, schlammige Waldböden, wuchernde Sträucher, starkes Gefälle, fehlende Toiletten oder Sitzmöglichkeiten – all das erschwert es Rollstuhlfahrern, blinden oder älteren Menschen, Natur zu erleben.
In einer wilden Natur, mit nicht immer ausreichend gepflegten Forstwegen oder anfahrbaren Aussichtspunkten, wird das ungleich schwerer. Dennoch war es von Beginn an Ziel, den Nationalpark Schwarzwald allen Menschen zugänglich zu machen, Barrieren, dort wo möglich ab- und keine neuen aufzubauen. Die Zauberformel dazu lautet „dezentrale Inklusion“. Es bedeutet, Erlebniswelten für Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen an unterschiedlichsten Orten zu schaffen. Dafür ist gerade in den letzten zwei Jahren einiges passiert.
Querschnittsthema Barrierefreiheit
Barrierefreiheit spielt in alle Bereiche des Nationalparks hinein – ob Infocenter, Verkehrs- oder Tourismuskonzept. Das wurde auch im jüngst beschlossenen Nationalparkplan festgeschrieben. Fachübergreifende Grundlagen mussten erarbeitet und immer wieder auf den Prüfstein gestellt werden. „Natur für jeden“ war und ist dabei der Benchmark. Barrieren abbauen beginnt bereits bei der Vermittlung von Informationen. Vom Internetauftritt bis zu den Flyern wurde vieles leicht verständlich aufbereitet – auch auf den Informationstafeln, die gut zugänglich installiert worden sind. Dafür waren viele Akteure intern beteiligt, maßgeblich aber auch Hans-Peter Matt, Beauftragter für Barrierefreiheit und Demographie im Nationalpark.
Von Versäumnissen anderer lernen
„Wir wollten nicht nur einen einzigen, barrierefreien Weg für Menschen mit Behinderung schaffen, so wie das in anderen Großschutzgebieten gemacht worden ist“, das würde schnell langweilig, weiß Matt, der selbst im Rollstuhl sitzt. Deshalb hat man unter Beteiligung der Bürger ein Wegekonzept erstellt. Im Frühjahr 2017 wurde es verabschiedet. Damit begann die praktische Arbeit für den 50-Jährigen – und Heidrun Zeus, die Rangerin im Nationalpark ist. Gemeinsam prüfen und erkunden sie, welche bestehenden Wege nur wenig optimiert oder über Hilfsmittel tatsächlich für immobile Besucher genutzt werden könnten. „Viele vorgeschlagene Wege haben sich doch als schwierig bis unbrauchbar erwiesen, weil sie nicht nachhaltig zu pflegen sind oder die Natur sich ihren Raum zurückholt“, weiß Matt, „und dann wiederum bietet die Natur selbst etwas an.“ Etwa am Sandsee bei Herrenwies oder am Tobelbach. Diese beiden Touren haben die beiden kürzlich inspiziert. „Dort gibt es unzählig viele Sinneseindrücke“, schwärmt Matt. „Wasser, das munter entlang des Wegs plätschert oder reichlich Moos zum Ertasten und Riechen.“ Vielleicht werde es hier künftig einen Blindenpfad geben, hofft er.
Neue Wege, neue Angebote
Seit zwei Jahren bietet der Nationalpark Schwarzwald Führungen für Gehörlose, darunter auch Schneeschuhwanderungen. Pädagogin Svenja Fox hat sich dafür weitergebildet und die Gebärdensprache erlernt. Im Herbst 2018 wurde der Einstieg des Lotharpfad über einen Holzbohlenweg für immobile Menschen zugänglich gemacht; auf dem sogenannten 1000-Meter-Weg können sie den Schliffkopf erleben. Hindernisfrei ist auch der Rundweg, der in den Bannwald „Wilder See“ beim Ruhestein vorbei an den Schafweiden des Seekopfs führt. Eine rollstuhlgeeignete Route am Huzenbacher See werde möglicherweise noch geschaffen, so Matt, am Wildtiergehege im Tonbachtal kann man bereits mit dem Rollstuhl fahren. Mancherorts sind Sitzbänke und Tische beschnitten worden. Jetzt sind sie von einer Seite aus unterfahrbar. Der Einsatz von barrierefreien Toiletten wird derzeit geprüft, beispielweise an der Rangerstation im Tonbachtal. Außerdem ist ein Gesundheitsprogramm geplant, unter anderem mit Demenz als Schwerpunktthema.
Schwarzwald setzt Benchmark
Mit diesem Konzept sieht nicht nur Hans-Peter Matt den Nationalpark Schwarzwald ganz vorne, wenn es um „dezentrale Inklusion“ geht. Das ist bundesweit einmalig. „Und wer hat`s erfunden?“, fragt Matt schmunzelnd, um sich selbst die Antwort zu geben: „Natürlich die beiden Initiatoren und Motoren, wenn es um Barrierefreiheit und Inklusion geht: Svenja Fox und Hans-Peter Matt.“ Gewiss müsse noch viel weitergearbeitet werden, gerade auch außerhalb des Parks, damit immobile Menschen über öffentliche Verkehrsmittel den Park gut erreichen können. Dafür brauche es eben Geduld und partnerschaftliches Denken. Eine Vision von barrierefreien Köpfen verfolgt Hans-Peter Matt ebenso: „Ich wünsche mir, dass Familien aus der Region mit der Oma im Rollstuhl, dem schwerhörigen Opa mit Stock oder dem Kleinkind im Kinderwagen sonntags in den Nationalpark kommen und nicht bei jedem Ausflug dieselbe Runde laufen müssen. Im Idealfall sind es dann vielleicht sogar diese Menschen, die zuvor keine Fürsprecher des Parks waren.“
Interessante Angebote und Veranstaltungen zum Thema finden sich im aktuellen Jahresprogramm auf www.nationalpark-schwarzwald.de zum Download.