Sender Los Quetzales
Die Vorfreude war riesig und die Rahmenbedingungen passten. In der Nacht und am Morgen hatte es noch leicht geregnet; nicht unüblich für den Regenwald am Fuße des Barú Volcana, der höchsten Erhebung Panamas. Ein sagenhafter Regenbogen hatte das gesamte grüne Tal vor Bajo Boquete, der Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks, überspannt, und unsere Abfahrt deutlich hinausgezögert. Geradezu fassungslos starrten wir geschlagene zwei Stunden auf diese nimmer enden wollende Naturerscheinung. Je höher die Sonne stieg, desto flacher wurde der Regenbogen – die Intensität jedoch blieb unverändert. Dann aber ging es los auf unsere für diesen Tag geplante „Jagd“ nach dem legendären „Quetzal“, jenem Göttervogel mit dem schillernden roten und grünen Gefieder.
Der „Sendero Los Quetzales“, der Quetzal-Trail, gehört zu den beliebtesten Wanderwegen des an Schönheiten und natürlichen Sehenswürdigkeiten reichen Nationalparks um den Vulkan Barú und erstreckt sich über acht Kilometer von Boquete nach Cerro Punta. Wer ohne Guide wandert, muss sich in einem Wärterhäuschen am Eingang des Trails registrieren lassen und dies auch nach seiner Rückkehr oder am Ende des Trails tun. So möchte die Nationalparkverwaltung verhindern, dass Touristen verloren gehen oder sicher sein, dass Vermisste rechtzeitig gesucht werden können. Für den diensthabenden Mitarbeiter sind die Wanderer die einzige Abwechslung eines nicht sehr arbeitsreichen Tages. Denn obwohl der Trail zurecht als besonderes Erlebnis angepriesen wird, hält sich die Schar der Gäste zumindest an diesem herrlichen Januartag doch sehr in Grenzen. Und das ist gut so!
Kaum sind wir in den Trail eingestiegen, erwarten wir hin- ter jedem Baum den Quetzal, doch außer einem verirrten Schaf, das seine Umzäunung irgendwie verlassen hat und nun nicht mehr zu seinem Kumpels zurückkehren kann, sehen wir nichts. Jedochüberbietet sich die Flora in üppigem Wachstum. Vergessen Sie den mitteleuropäischen Wald mit seiner überschaubaren Artenvielfalt! Was sich hier auftut, ist schier unbeschreiblich und wird dichter und höher und dämpfiger, je weiter man den anfangs befestigten, später durch wilden Bewuchs führenden Weg voranschreitet. Mehrfach überqueren wir den „Caldera River“,indem wir über Steine hüpfen oder ihn durchwaten, ziehen vorbei an vermoosten ehemaligen Schutzhütten und bekommenlangsam regelrecht Genickstarre vom Blick in die Wipfel der mächtigen Bäume. Die Schreie des Quetzal, wir glauben sie zuerkennen, verstärken das „Jagdfieber“, doch was wir zu Gesicht bekommen sind ein Faultier, einige Affen und reichlich anderes Gefieder. Rund vier Kilometern lang machen wir Höhenmeter um Höhenmeter – nicht steil, aber stetig. Doch nun ist Schluss mit lustig. Der Pfad zieht mächtig an. Eine regelrechte Erd- und Felswand tut sich vor einem auf. Trittstufen, die möglicherweise für einen Riesen angelegt wurden, nicht aber für einen Durchschnittseuropäer, machen den steilen Aufstieg beinahe zur Klettertour. Meter um Meter kämpfen wir uns voran; vorbei ist es vorerst mit der Suche nach dem Quetzal. Trittsicherheit ist ebenso wichtig wie erhöhte Aufmerksamkeit. Unser vorrangiges Ziel ist nun der Mirador, der höchste Punkt des Trails mit angepriesener „fantastischer Aussicht“.
Plötzlich stehen wir auf einem Sattel und finden eine kleine Lichtung. Der Mirador? Die Bäume scheinen ganz schön gewachsen, denn von Aussicht keine Spur. Ein junges Paar aus Australien, das den Weg von Cerro Punta aus in Angriff genommen hat, und das wir zufällig an dieser Stelle treffen, klärt uns auf und verweist auf eine noch kurz zu gehende Wegstrecke zum Aussichtpunkt. Die „kurze Wegstrecke“ entpuppt sich als ein dreiviertelstündiger Gewaltmarsch, doch dann ist es geschafft. Wer den Weg mit dem Ziel geht, diesen Aussichtspunkt zu genießen, wird enttäuscht sein. Ein schöner Blick über den Regenwald fürwahr, aber wesentlich eindrucksvoller ist der Trail an sich. Natur pur, zeitweiseordentliche körperliche Ertüchtigung und immer die Hoffnung, den Göttervogel zu Gesicht zu bekommen. Wir hatten Pech. Auch auf dem Rückweg hörten wir ihn nur, doch darin sind wir sicher. Als wir an das Wärterhäuschen zurückkehren, fängt es wieder an zu regnen. Wir genießen die warme Dusche in vollen Zügen und haben die nächste Tour für den kommenden Tag schon ausgesucht: die verlorenen Wasserfälle, the lost waterfalls .
Wie gesagt: Der Barú Volcano National Park ist reich natürlichen Schönheiten und über allem thront weithin sichtbar der 3.477 Meter hohe Vulkankegel.