Barrierefreiheit ist für viele Menschen ein Must-have. Es sei allerdings auch ein Qualitätsmerkmal einer zeitgemäßen und generationengerechten Gesellschaft, meint Landesbehindertenbeauftragte Simone Fischer. Die Redaktion hat genauer nachgefragt: was ist Wunsch und was Wirklichkeit? Und wie ordnet sie die Performance des Nationalparks Schwarzwald ein?
Ihre Tätigkeit ist im Landes-Behindertengleichstellungsgesetz geregelt, kurz L-BGG. Ein langes Wort. Können Sie kurz beschreiben, was Ihre Aufgabe ist?
„Ich habe die Freude, die Belange von Menschen mit Behinderungen zu vertreten. Das tue ich gegenüber der Landesregierung, den Ministerien und der Landesverwaltung. Ich berate und empfehle, begleite und unterstütze, damit das Land seinem Auftrag nachkommt, gleichwertige Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Und zwar für alle, ob sie den Rollstuhl nutzen, gehörlos oder kognitiv eingeschränkt sind, ob sie in Osterburken, auf der Schwäbischen Alb oder in Stuttgart leben. Nur dann ist Teilhabe erst möglich.“
Doch wie sieht das in Ihrem Arbeitsalltag aus?
„Ich beziehe Stellung zu jeder Verordnung oder jedem neuen Gesetz, das die Landesregierung auf den Weg bringt. Auch wenn diese fortgeschrieben oder angepasst werden, wie beispielsweise die Landesbauordnung, das Landesmobilitätsgesetz oder das Schulgesetz, bringe ich die Perspektive von Menschen mit Behinderungen ein. Ich nehme Stellung zum Landesentwicklungsplan, erinnere in den unterschiedlichsten Gremien an die Barrierefreiheit, die für einen gehörlosen Menschen anders aussieht, wie für eine gehbehinderte Person. Unterstützt werde ich von einem Beirat, auch von Arbeitsgruppen, zu denen natürlich Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen zählen. Schließlich brauchen wir viele Stimmen. Es ist mein Herzenswunsch, dass Menschen mit Behinderungen die Gelegenheit haben, sich selbst zu vertreten, um ihre Lebenswelten vor Ort mitbestimmen zu können.“
Kann man sich auch direkt an Sie wenden?
„Selbstverständlich. Ich bin Ombudsperson. Bei Anfragen, Eingaben oder Beschwerden schauen meine Geschäftsstelle mit fünf MitarbeiterInnen und ich, wie wir helfen können, und werden bei Themen aktiv, die das Land betreffen. Geht es beispielsweise um eine kritische Situation in der Schule, trete ich an das Kultusministerium heran und vermittle. Manchmal erreichen mich auch Beschwerden, die Kommunen betreffen. In solchen Fällen beziehe ich kommunale Beauftragte für Menschen mit Behinderung oder andere Stellen mit ein. Sie kennen die Strukturen vor Ort am besten. In den 44 Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs gibt es bereits Beauftragte, mit denen ich mich regelmäßig austausche.“
Helfen Sie auch im Fall von Beschwerden über Unternehmen und Institutionen?
„Ja, auch dann. Wir hatten schon den Fall, dass ein Bewerbungsgespräch abgesagt wurde. Die Begründung lautete, dass die Räumlichkeiten vor Ort nicht barrierefrei seien. Doch das verstößt gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Eine Einladung muss erfolgen, wenn die personalrechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Auch in solchen Fällen vermitteln wir und sorgen dafür, dass Unternehmen aufwachen.“
Gibt es eine Art Expertenforum, das dabei hilft, barrierefrei zu werden?
„Ja, das befindet sich gerade im Aufbau, denn oft fehlt es nicht am Willen der Kommunen, Institutionen oder Unternehmen, sondern schlicht am gewusst wie. Aktuell wird das Landeskompetenzzentrum Barrierefreiheit aufgebaut. Dort sitzen Experten, die Antworten auf konkrete Fragen dazu liefern, wie man sie in den jeweiligen Fällen und unter Berücksichtigung der DIN-Normen vor Ort umsetzt. Ich finde, wir sollten Barrierefreiheit endlich vor allem als Qualitätsmerkmal begreifen, schon gar nicht als Nice to have und auch nicht nur als notwendiges, per Gesetz verordnetes Musthave. Dann würde vieles leichter.“
Wo steht Baden-Württemberg im Bundesvergleich?
„Es liegt leider noch kein Vergleich vor, der alle Kriterien vollumfänglich in allen Ländern erfasst. Einzelne Bereiche kann man sicher herauspicken. Ich würde sagen, wir sind im Bundesdurchschnitt im vorderen Mittelfeld unterwegs. Wir punkten mit den Beauftragten in den Stadt- und Landkreisen, mit kleinen innovativen Projekten und Vorhaben, die beispielsweise über „Impulse Inklusion“ oder „Quartier 2030“ in unserem Land gefördert werden. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal gegenüber den anderen Bundesländern. Dafür haben wir an anderen Stellen noch Aufholbedarf, beispielsweise der Digitalisierung, der Mobilität, der schulischen Inklusion und der allgemeinen Beteiligungskultur von Menschen mit Behinderungen. Die Belange müssen einfach von Beginn an mitgedacht sein. Mit meinen Kollegen aus den anderen Bundesländern bin ich in regem Austausch, auch mit dem Bundesbeauftragten Jürgen Dusel.“
Wie ordnen Sie die Gegebenheiten im Nationalpark Schwarzwald ein?
„Was der Nationalpark Schwarzwald geleistet hat, ist beispielhaft. Davon konnte ich mich Anfang Mai überzeugen. Vor allem vom Spirit der Menschen, die sich hier einbringen, bin ich beeindruckt und dem vergleichsweise großen Angebot für Menschen mit Einschränkungen. Wie das Thema Gebärdensprache integriert wurde, ist vorbildhaft. Die Ausgestaltung des neuen Besucherzentrums ist für viele Personen mit Behinderungen sehr dienlich. Mit gefällt, wie Betroffene bei den Planungen involviert sind. Im Nationalpark werden alle Akteure sensibilisiert für das Thema Teilhabe. Sie sind bereit, sich zu verbessern, und machen möglich, was geht – und manchmal auch vorher Unvorstellbares. Diesen Geist wünsche ich mir quer durch die Gesellschaft, den Willen, sich in die Perspektive der Menschen mit Behinderung zu versetzen und so auf die Dinge zu schauen“
Wenn wir schon beim Wünschen sind: Wie sähe Ihr barrierefreies Utopia aus?
„Ich wünsche mir, dass alle Menschen von Kindesbeinen an dieselben Einrichtungen besuchen. Nur dann wird Teilhabe selbstverständlich und muss später nicht erlernt oder umgesetzt werden. In Utopia hätten Menschen mit Behinderungen die freie Wahl unter den Ärzten. Das ist per Gesetz zwar de facto ihr Recht, doch letztlich wählen sie unter den Ärzten, bei denen sie Barrierefreiheit vorfinden. Das gilt ebenso für Cafes oder Museen. Die eingeschränkte Auswahl findet sich in vielen Lebensbereichen. In Utopia hätten sie die nötige Assistenz, um ihre Fähigkeiten und Talente zu erkennen und einzubringen, um unsere Gesellschaft mitzugestalten – sie sind empowered und akzeptiert. Jeder Bürgermeister und jedes Unternehmen kennt seine Barrieren und ist bereit, sie abzubauen, obwohl, stopp, in Utopia gäbe es gar keine. Im Grunde sind dort Menschen mit und ohne Behinderung selbstverständlich aktiver Teil der Gesellschaft. Das wäre schön.“