„Das erste Haus mit Kupferdach auf der rechten Seite“, beschreibt Walter Trefz sein Wohnhaus. Was er nicht erwähnt: Wie gut sich das mit grün oxidiertem Kupfer gedeckte, niedrige Haus in die Landschaft hier am Kniebis einfügt. Das Garagentor ist verkleidet mit Rindenholz, auch das passt zum Wald, der das Haus umgibt. Ein wenig aus der Rolle hingegen fallen die aus Metall gearbeiteten Ameisen, die die Treppe zur Haustür hinaufkrabbeln. Eine niedliche Ameisenfamilie – was natürlich Jägerlatein ist, wie Walter Trefz trocken anmerkt. Ameisenkinder sehen anders aus. Trotzdem scheint er sie zu mögen, diese romantisierte Darstellung eines wichtigen Tiers für das Ökosystem Wald.
„Worüber wollen Sie denn reden?“, will Walter Trefz wissen, nachdem man sich mit Blick auf den teilweise naturbelassenen, wild wuchernden Garten und den direkt anschließenden Waldrand niedergelassen hat. Eine wichtige Frage bei einem Menschen, der mit dem Schwarzwald verwachsen zu sein scheint und in seinem 78-jährigen Leben allerhand erlebt hat. Über den Menschen Trefz und sein Verhältnis zu Nationalpark und Naturschutz möchten wir mehr wissen. Also fangen wir einfach da an, wo er den Wald zum ersten Mal als Profi wahrnahm: Als er in den sechziger Jahren begann, als Förster zu arbeiten – hier, im Stadtwald Freudenstadt.
„Nach der Ausbildung glaubte ich, der gescheiteste Förster zu sein. Fünf Jahre später hab ich gewusst, dass ich nichts weiß.“
Der deutsche Wald habe ihn nichts lehren können. „In Deutschland gab es keinen freilaufenden Wald, der mir sagen konnte, wo die Reise hingeht.“ Er wollte einen Wald finden, der nie eine Einmischung des Menschen erfahren hatte. Den musste er suchen: in Österreich, wo es ein bisschen gab; in der Schweiz, wo es ein klein wenig mehr gab; und in Slowenien und Polen, wo es viel gab. „Letzten Endes habe ich mich in einen Flieger gesetzt, um mir die Nationalparks in den USA anzuschauen.“ Und da faszinierte ihn ganz besonders die Einstellung der Amerikaner.
„Die Amerikaner haben sich gesagt: Wir brauchen die wilde Natur, um gesund zu bleiben. Und die muss in der Nähe der Großstädte sein.“
In Deutschland hingegen bedeutete Naturschutz bis weit ins letzte Jahrhundert hinein: wohlwollend gemeintes Eingreifen. Dass die Natur in der Lage sein könnte, selbst etwas Wertvolles entstehen zu lassen, wenn man sie nur lässt, war keine gängige Sichtweise. „Die amerikanische Sichtweise hat meine Arbeit beeinflusst: Den Wald weitgehend werden zu lassen, wie er will“, so Trefz. Also: weiterhin natürliche Verjüngung und naturnahe Waldwirtschaft.
Im städtischen Forst von Freudenstadt gab es bereits Ansätze der naturgemäßen Waldbewirtschaftung. Hier wurde schon 1908 zugunsten des Tourismus ein Stück des Waldes in den ersten Parkwald umgewandelt. „Bei diesem Walderlebnis konnten die Besucher den Wald als Einheit erleben und seine Wirkungen und Funktionen begreifen und verstehen.“ Vorbildlich für einen Wirtschaftswald – aber Walter Trefz wollte mehr. Und schloss sich dem Bundesverband für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) an.
„20 Jahre vor der Gründung war der Nationalpark schon mal in der Diskussion. Ich habe mich dafür eingesetzt. Wir brauchen dieses kleine Stück Wald, das uns zeigen kann, wie ein Wald wild wird.“
Der erste Anlauf misslang. Beim zweiten Versuch stand nach Ansicht von Walter Trefz in der Öffentlichkeit das vermeintliche Wald-Chaos im Vordergrund. „Ich kann das nachvollziehen: Da hat man mit viel Mühe einen schön ordentlichen Wald herangezogen. Gepflegte Wanderwege, Kneippanlagen, Sitzbänke, eigenhändig errichtete Brücken, Wege und Stege. Und dann kommt jemand, und nimmt das einfach weg! Will den ganzen gepflegten Wald ins Chaos stürzen.“ Es war also viel Überzeugungsarbeit zu leisten für seinen Wunsch nach Wildnis.
Was es bereits an beginnender Wildnis und damit als Vorzeigemodell pro Nationalpark gab, war der Anfang des 20. Jahrhunderts zum Bannwald erklärte Bereich um den Wilden See. Der Orkan Lothar hinterließ 1999 zusätzliche zweieinhalb Hektar Sturmwurffläche, die mit Hilfe des ehemaligen Naturschutzzentrums am Ruhestein zum Erlebnispfad (Lotharpfad) ausgebaut wurden. „Da geschah so etwas wie eine Bewusstseinserweiterung: Es gibt Schönheit im Chaos“, so Trefz. Die Natur entwickelte sich inmitten all der entwurzelten Bäume ganz anders, als es ein Förster gelenkt hätte.
Letztendlich wurde der Nationalpark 2014 tatsächlich ins Leben gerufen. Für Walter Trefz eine Art Abschluss seiner Bemühungen als Aktivist für den Prozessschutz. Denn das ist es, was Wildnis ausmacht: Alle Prozesse sind geschützt, der Mensch greift in keinem Fall mehr ein. Egal, ob der Wald aus Menschensicht das „Richtige“ tut. Oder auch nicht. „Ich selbst hatte so ein Erlebnis, durch das ich erst wirklich begriffen habe, dass der Nationalpark anders ist. Ich war in der Karwand am Buhlbachsee unterwegs. Nasser Schnee war abgegangen und hatte ein großes Stück Jungwald plattgewalzt. Da fing mein Försterkopf an zu rattern: Was muss ich tun, wie setze ich das wieder instand? Doch dann setzte der Gedanke ein: Nein, hier darf ich nur noch zuschauen. Der Wald richtet sich selbst.“
„Das war ein richtiger Wendepunkt für mich: Du hast keine Verantwortung! Du brauchst nur gucken und lernen! Da bin ich einen schweren Rucksack losgeworden.“
Was aus dem Wald des Nationalparks wohl werden wird? „Wir können das alle nicht mehr erleben. Aber: Die Natur wird sich richten, davon bin ich überzeugt. Auch, wenn wir das noch nicht verstehen.“ Und was kann der Nationalpark bewirken? „Dass ich Andersartigkeit akzeptiere. Das hilft im Alltag, wo wir alle partnerschaftlich zusammen leben und arbeiten müssen. Wichtig ist, dass wir uns nicht streiten, sondern dass wir gemeinsam Natur geschehen lassen!“