Der Nationalpark Schwarzwald ist reich an natürlichen Quellen. Nicht alle sind bekannt, noch sind sie sämtlich erforscht. Seit 2015 werden 22 davon wissenschaftlich genauer untersucht. Jede für sich ist ein eigenes, kleines Ökosystem. Manche Quellen sind sogar Heimat seltener Spezies.
Wasser schafft Leben. Gleichzeitig ist es Lebensraum. Das ist bei den Quellen des Nationalparks Schwarzwald nicht anders. Was deren Wasser genau enthält und welche Untersuchungen sinnvoll sind, wurde 2015 nach der Gründung des Nationalparks bei einem Wasser-Workshop mit Experten aus verschiedenen Fachrichtungen festgelegt. Der Quellenexperte Dr. Reinhard Gerecke von der Universität Tübingen unterstützt seither das Wissenschaftsteam des Parks um Leiter Marc Förschler. Zunächst suchte Gerecke Quellen, die sich für die Erhebungen eignen. Ein zeitaufwändiges Unterfangen, weil die kleinen Wasseraustritte oft sehr versteckt im dichten Wald liegen.
22 Quellen entlang der Schönmünz
„Wir haben uns auf Quellen des einzigen Baches beschränkt, der im Nationalpark entspringt und ihn auch auf längerer Strecke durchläuft – und zwar die Schönmünz, die wenig später in die Murg mündet“, erklärt Biologe Marc Förschler. 22 Quellen im Schönmünztal werden seither beprobt und sind inzwischen auch näher beschrieben. Gerecke hat die Quellen kategorisiert. Dazu verglich er ihre
Schüttung, also die Menge an Wasser, die auf einmal austritt. Außerdem verglich er ihre Strukturen. Manche Quellen sickern langsam aus dem Boden, andere treten als kleiner Bach direkt aus Spalten im Gestein aus oder zwischen unterschiedlichen Gesteinen wie an der Schichtgrenze von Granit und Buntsandstein. In der Regel werden sie alle von Regenwasser gespeist, das irgendwo in den höheren Lagen einsickert und unterschiedlich viel Zeit benötigt, bis es an einer anderen Stelle wieder austritt. Es gibt Quellen mit dauerhafter Schüttung. Andere hingegen sind stärker von Regen abhängig und fallen in heißen Sommern manchmal sogar trocken.
Jede sprudelt anders
Die Quellen haben meist Trinkwasserqualität, doch je nachdem wo sie austreten, sieht ihr Wasser bedingt durch die Anzahl an Schwebstoffen bisweilen nicht ganz so attraktiv aus. Wo das Wasser durchfließt und hat nicht nur Einfluss auf seine Trübung, sondern auch auf seinen pH-Wert. Je weiter es oben im Buntsandstein fließt, desto saurer ist es. Granitwasser ist neutraler. Auch die Leitfähigkeit des Wassers sei von Quelle zu Quelle verschieden, weiß Förschler, auch ihre chemische Zusammensetzung, die physikalischen Eigenschaften, der Mix an Mineralien, Mikroorganismen, Algen, aquatischen Pilzen oder wirbellosen Tieren, die ebenfalls in den Quellen leben. Den Chemismus der Quellen untersucht ein Team vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) um Professor Nico Goldscheider. Die Spezialisten entnehmen regelmäßig Proben an einer Auswahl der Quellen, um Vergleichswerte über längere Zeiträume und mit Blick auf bestimmte Ereignisse wie starke Niederschläge oder lange Trockenheit zu bekommen. Daraus gewinnen sie neue Erkenntnisse.
Jede Quelle ist ein kleiner Mikrokosmos
Der Tübinger Wissenschaftler Gerecke und weitere Fachgrößen schauen sich die in den Quellen lebenden Organismen genauer an. Gerecke ist Experte für Wassermilben. Diese Gruppe bildet eine sehr interessante Artengemeinschaft. Mit „Atractides circumcinctus“ konnte er sogar eine Wassermilbe in einer der Quellen nachweisen, die seit ihrer Erstbeschreibung in den fünfziger Jahren nirgends mehr gefunden wurde. Insgesamt 75 Arten von Wassermilben hat der Tübinger bislang nachgewiesen, auch 57 Hornmilbenarten, 28 Schneckenarten, einige Muscheln und den klassischen Bachflohkrebs (Gammarus fossarum). 66 Arten von Zuckmücken wurden von Susanne Michiels und Dr. Sofia Wiedenburg in den 22 Quellen entdeckt, darunter vier der Wissenschaft bisher noch unbekannte Arten. Jede Quelle zeigt eine komplett eigene Artenzusammensetzung. Die Wissenschaftler konzentrieren sich derzeit auf die Erfassung und Einstufung der Milben und Zuckmücken, weil von beiden Gruppen valide Daten existieren und sie sich als Bioindikatoren für den ökologischen Zustand der Quellen sehr gut eignen. Dabei zeigen sie durch ihr hohes Vorkommen sofort an, wenn etwas in der Quelle sich so verändert, dass es Auswirkung auf diese Population hat. Das gibt Aufschluss auf die Wasserqualität.
Vieles noch nicht taxiert
Direkt im Anschluss an die Quellen, also dort, wo die Wasserläufe der kleinen Bäche etwas breiter werden, legen auch Feuersalamander ihre Eier ab. Die Gestreifte und die Zweigestreifte Quelljungfer, das sind seltene Libellenarten, haben ebenfalls einige Quellen im Schönmünztal als Lebensraum annektiert. Förschler erzählt auch von einer besonderen Höhlenschnecke, die in einer für sie untypischen, weil recht sauren Quelle entdeckt wurde. Weitere Fluginsekten wie Eintagsfliegen, Köcherfliegen und Steinfliegen, die ebenfalls typische Quell- und Bachbewohner sind, konnten in den so genannten Emergenz-Sammelfallen gefangen werden, die direkt auf der Quelle aufgestellt werden. Alles, was darin schlüpft und so im wahrsten Wortsinn ins Netz geht, wurde in der ersten Projektphase vor allem gesammelt und erst einmal sortiert. Auch für Wurmarten, Gnitzen, Langbein- oder Stelzfliegen, die in den Quellen in signifikanter Zahl vorkommen, gäbe es nur wenige Experten, die sich derzeit damit befassen könnten, sagt Förschler. Die Zahl der so genannten Taxonomen, die sich mit solchen Artengruppen auskennen, schrumpft immer mehr. Doch die Daten sind alle archiviert, können unkompliziert weitergereicht und so in Ruhe, aber auch mit neuen genetischen Methoden nachbearbeitet werden.
Stadium der Auswertung
Zu lange damit warten, geht auf Kosten der Artenvielfalt. „Um in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wirklich beurteilen zu können, was der Klimawandel bei den Quellen bewirkt, ist es wichtig, dass wir jetzt den Status Quo umfänglich festhalten“, erklärt Förschler. „Wir müssen wissen, wo überall Quellen sprudeln, für welche Organismen sie Lebensraum sind und welche chemische Zusammensetzung sie enthalten“.
Lange Trockenperioden, wie sie 2018 und 2019 vorgekommen sind, bewirken, dass sogar Quellen trockenfallen, die eigentlich immer Wasser führen, weiß der Spezialist für Biodiversität. Das hätte dramatische Auswirkungen auf die Artenstruktur in der Quelle, auf die Vegetation um sie herum, die an diese Quellenaustritte angepasst ist, auf die spezialisierten Wirbellosen, die in dieser Vegetation leben, sich in ihr fortpflanzen und sich von ihr ernähren. „Und genau deshalb ist jede dieser individuellen Quellen schützenswert“, schlussfolgert er.
Dr. Marc Förschler
ist Leiter des Fachbereichs „Ökologisches Monitoring, Forschung und Artenschutz“ im Nationalpark Schwarzwald. Der Biologe hat an der Universität Tübingen studiert und am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und an der Universität Ulm promoviert. Als „Postdoc“ war der gebürtige Kniebiser ein Jahr am Naturkundemuseum in Barcelona und fünf Jahre an der Vogelwarte Helgoland tätig. Die nächste Station war der Ruhestein, von wo aus er bereits vor Entstehung des Nationalparks im Naturschutzzentrum Ruhestein mitgearbeitet hat.