Was man alles entdecken kann, wenn man im Nationalpark Schwarzwald etwas genauer hinschaut, das zeigen die Juniorranger auf einem Waldspaziergang. Schwerpunktthema diesmal: Pilze.
Ruhig und unbeweglich hängen Nebelfetzen zwischen den Bäumen beim Nationalparkzentrum am Ruhestein. Nässe glitzert auf Moosen und Blättern. Es ist ein typischer, noch recht warmer Herbsttag an einem Freitagnachmittag mitten im Nordschwarzwald.
Allerdings – auf dem Parkplatz am Ruhestein wird es langsam unruhig. Mehrere Autos mit Familien kommen an. Fröhliche Begrüßungsrufe werden laut. Man kennt sich offensichtlich. Viele der Kinder tragen ockerfarbene Westen oder Softshelljacken mit aufgestickten Symbolen des Nationalparks – denn hier ist kein Familienwandertag angesagt, sondern ein Treffen der Juniorranger!
Juniorranger – dahinter verbirgt sich ein Konzept, das vom Naturschutzzentrum am Ruhestein 2010 initiiert wurde. Unter der Leitung der drei „großen“ Ranger Kerstin Musso, Charly Ebel und Patrick Stader lernen Kinder und Jugendliche von fünf bis vierzehn Jahren in vier Juniorranger-Gruppen auf Exkursionen direkt in der Natur, was es im neuen Nationalpark über Tiere, Pflanzen, die Landschaft und das Ökosystem zu wissen gibt. Die Gruppen sind altersentsprechend abgestuft und nicht größer als zehn Kinder. Alle drei Wochen machen sie sich unter einem anderen spannenden Thema auf in den Wald. Das heißt heute: Pilze!
Kerstin Musso und Charly Ebel, die deutlich an ihren leuchtend roten Jacken zu erkennen sind, führen ihre zehn Schützlinge heute auf dem Hansjörg-Abend-Weg ins „Reich der heimlichen Herrscher“, wie Charly Ebel die Pilze im Nationalpark nennt. Mehr als 400 Arten wachsen hier, weit mehr als Moose oder Blütenpflanzen.
Ganzheitlicher Ansatz
„Los geht’s!“ Für Rike, Jana, Alex, Noah, Max, Chuck, Nane, Frederik, Tim und Michelle scheint auf Anhieb klar zu sein, was jetzt zu tun ist. Rucksäcke werden aufgesetzt, die mittlerweile schon fast vergessenen Eltern knapp verabschiedet, dann geht es los. Zielgerichtet marschiert die kleine Gruppe über den Parkplatz auf einen aufwärts führenden Waldweg zu und taucht zwischen dichten Bäumen in den Wald ein. Bis der Abend anbricht heißt es jetzt: „Augen auf und auf Pilze achten!“
Dass ein Juniorranger weit mehr lernt als das bloße Bestimmen der Arten, erklärt Kerstin Musso. Sie kümmert sich um den didaktischen Teil der Exkursionen: „Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Wir möchten unseren Kindern beibringen, der Natur in Würde und Achtung zu begegnen. Besonders wichtig findet sie, dass die Nachwuchsranger bereits mit fünf oder sechs Jahren mit den Exkursionen beginnen. „Der Zugang eines fünfjährigen Kindes zur Welt, die ganze Wahrnehmung ist noch ganz anders als bei einem Achtjährigen“. Die Kinder, sagt die ausgebildete Erzieherin, seien noch viel offener – und noch nicht so sehr abgelenkt von der „elektronischen Konkurrenz“, fügt Mussos Kollege, der Diplomgeograf Charly Ebel, zwinkernd hinzu. Denn sobald die Kids mit Handys ausgestattet seien, gelte ein Teil der Aufmerksamkeit doch immer wieder dem Gerät.
Vorbei geht es am Stinkenden Nadelschwindling, am Hohlfußröhrling, der unter Lärchen zu finden ist, am schmackhaften Maronenröhrling und einigen anderen Pilzarten. Jedes Mal wird der Fund genauestens untersucht und entweder aus Erfahrung oder mit Hilfe eines Bestimmungsbuches benannt. Fachbegriffe wie „Myzel“, „Frucht-körper“, „Röhren“, „Lamellen“, „Hut“, „Lignin“ oder „Zellulose“ schwirren hier genauso selbstverständlich durch die Luft wie die griffigeren Bezeichnungen „Kumpelpilz“ oder „Deutschlandpilz“. Deutschlandpilz? „Ja“, sagt Kerstin Musso und lacht – „der heißt bei uns so, weil… Aber kommt doch einfach mal mit, dann zeigen wir es euch!“
Alle Sinne ansprechen
Bildhafte Ausdrücke wie „Deutschlandpilz“ zeigen gut die Lerntaktiken bei den Juniorrangern. Die Kinder sollen direkt in der Natur lernen und begreifen, ihre Neugier nutzen und entdecken. Kerstin Musso verpackt dazu Wissenswertes kindgerecht. Manchmal erzählt sie kleine Geschichten oder Anekdoten. Oder sie fordert die Kinder auf, Dinge anzufassen, an ihnen zu riechen, genau zu beobachten. Einmal zieht Charly Ebel dazu mitten im Wald sogar eine Lupe. „Die Kinder verstehen besser, wenn mehrere Sinne zum Einsatz kommen“, sagt Kerstin Musso.
Schwierige oder sperrige Namen wie „Stinkender Nadelschwindling“ wiederholen die beiden Leiter immer wieder, oder sie fragen nach einigen Minuten: „Wie hieß der Pilz jetzt nochmal?“ Die spielerischen Wiederholungen helfen, auch schwierige Begriffe und sperrige Namen im Gedächtnis zu behalten. Während die Juniorranger mit Kerstin Musso weiter auf dem Weg den Berg hinauf stapfen, hält Charly Ebel Ausschau nach interessanten Entdeckungen am Wegesrand. Schließlich stoppt er an einer umgestürzten Buche, die am steilen Abhang liegt. „Noah, kommst du mal bitte? Noah ist unser Fachmann, er hat sich ganz besonders auf Pilze spezialisiert“, erzählt der Ranger. Und richtig – er und sein Freund Max erklären kurz und sachlich, dass der Pilz, der oben schwärzlich, in der Mitte rötlich und unten am Rand gelblich leuchtet, der erwähnte Deutschlandpilz ist.
Klar, der Name ist jetzt wirklich nicht mehr schwer zu erklären. Aber dass er richtig „Rotrandiger Baumschwamm“ heißt, das wissen die beiden natürlich auch. Und dass er kein Kumpelpilz ist, also nicht in Symbiose mit einer Baumart lebt, sondern abgestorbene Bäume zersetzt. Niemandem hier scheint es Probleme zu bereiten, die vielfältigen Informationen zu behalten. Kaum geht es weiter den Weg bergan, wird Charly schon mit den nächsten Fragen bombardiert: „Welcher Baum ist das?“ „Warum sieht der Pilz dort so wellig aus?“ Scheinbar gibt es für den Rangernachwuchs überall etwas zu entdecken. Geduldig hören sie sich die Ausführungen der großen Ranger an. Jeder wartet, bis er mit seiner Frage an der Reihe ist. „Das hängt auch irgendwie mit dem Aufenthalt im Wald zusammen“, mutmaßt Kerstin Musso. Der Umgang miteinander inmitten der Natur sei ein anderer. „Bei den Ausflügen bringen die Kinder sich und anderen mehr Respekt entgegen“. Zwischenrein gequasselt und geärgert wird hier nur äußerst selten.
Zwei bis drei Betreuer auf zehn Kinder ist ein gutes Verhältnis für eine funktionierende Gruppe
Um den unbändigen Wissensdurst der Kinder stillen zu können, müssen die Betreuer intensiv auf die Kinder eingehen. „Zehn Kinder auf zwei bis drei Betreuer halten wir für ein sinnvolles Verhältnis“, erklärt Charly. Jedes Jahr müsse der Nationalpark leider einigen Interessenten absagen, weil die Gruppen sonst zu groß würden. Allerdings soll das Konzept weiter entwickelt und auch Personal aufgestockt werden, damit mehr junge Naturfreunde sich zu Juniorrangern ausbilden lassen können.
„Wir möchten uns demnächst noch intensiver am Bildungs- und Entwicklungsplan des Landes orientieren“, erklärt Kerstin Musso während der Vesperpause. Außerdem solle auch für Jugendliche, die den Juniorrangern bereits entwachsen sind, ein Angebot geschaffen werden, zum Beispiel in Form von Praktika. Es müsse unbedingt ein durchgehendes Angebot da sein, um die Jugendlichen am Ball zu halten, sind sich die Ranger einig.
Unter dem Aspekt der Nachwuchsarbeit hat das Juniorrangerkonzept große Bedeutung
Natürlich hoffen die beiden Betreuer, dass der eine oder andere Schützling dem Nationalpark dauerhaft als Mitarbeiter oder Naturführer erhalten bleibt. Nachdem in den ersten beiden Juniorranger-Jahren das Kennenlernen der Jahreszeiten und der einzelnen Gebiete des Nationalparks wie Luchspfad, Bannwald oder Lotharpfad im Vordergrund stehen, kommt in den Jahren drei und vier Expertenwissen hinzu, zum Beispiel durch die Hinzuziehung von Vogelkundlern oder anderen Fachleuten. Die Juniorranger leiten dann schon mal eine Besuchergruppe mit einem großen Ranger durch die Wildnis. Ganz automatisch werden sie so behutsam zu Gästeführern ausgebildet. Laut Charly Ebel braucht es dafür vor allem Offenheit und Mut, frei vor einer Gruppe zu sprechen. „Wir haben Fünfjährige dabei, die können fast besser erklären als wir.“
Ebels heutige Gruppe jedenfalls ist begeistert bei der Sache und denkt auch schon ein bisschen an die spätere Arbeit im Nationalpark. „Ich möchte auf jeden Fall mal was mit Natur machen“, versichert die zehnjährige Jana. Ihre Freundin stimmt eifrig zu. Laut Kerstin Musso gibt es nicht wenige Kinder, die sogar noch einen Schritt weiter gehen und heute schon ganz sicher wissen: „Ich werde auch mal Ranger!“
Das Wichtigste zu den Juniorrangern
Juniorranger – was heißt das?
Das Juniorranger-Programm ist ein pädagogisches Angebot des Nationalparks. Kinder und Jugendliche von fünf bis 14 Jahren brechen je nach Alter in Gruppen zu maximal zehn Kindern zu thematischen Exkursionen in den Nationalpark auf.
Worauf basiert das Konzept?
Durch die Ausbildung zum Juniorranger soll den Kindern vor allem Begeisterung und Verständnis für die Natur vermittelt werden. Dazu gehört auch das Bewusstsein für Werte: Ihr in Würde und Respekt zu begegnen. Zentral ist die eigene Sinneserfahrung, daher findet alles im Freien statt. Unterricht im Klassenzimmer gibt es nicht. Selbst tätig sein, heißt die Devise. Anfassen, hinhören und beobachten ist ständig gefragt. Wissenswertes wird von Pädagogen kindgerecht aufbereitet. Die Betreuer achten zudem darauf, dass jedes Kind nach seinen individuellen Bedürfnissen und im eigenen Tempo ausgebildet wird.
Wie viel Zeit verbringen die Kinder als Juniorranger?
Das ganze Jahr hindurch treffen sich die Gruppen im Wechsel freitags oder am Wochenende und gehen zusammen – ohne Eltern – für zirka drei Stunden auf Entdeckungsreise.
Wie kann mein Kind Juniorranger werden?
Hierzu ist eine Anmeldung erforderlich. Die neuen Gruppen sind jeweils im Jahresprogramm des Nationalparks ausgeschrieben. Weitere Infos gibt’s direkt beim Nationalparkzentrum am Ruhestein unter 07449 91020.
(Fotos: Christopher Wünsche)