„Der Wald steht schwarz und schweiget“ – so heißt es in Matthias Claudius‘ berühmtem Abendlied. Doch wer genauer hinschaut, der entdeckt besondere Bäume, die ihre Geschichte sichtbar machen.
Riesige Bäume, knorrige Bäume, neu verzweigte Bäume, Baumzwillinge, Bäume, die sich anlehnen, alte Baumgroßväter – Michel Grün kennt sie gut. Er war als Praktikant der Umwelt- und Naturwissenschaften der Uni Freiburg wochenlang im Nationalpark Schwarzwald unterwegs, um besondere Bäume zu entdecken, zu fotografieren, zu vermessen und zu kartieren. „Ich mag alte Bäume gerne, ist halt mein Hobby“, sagt Michel Grün schlicht. „Das passte für den Nationalpark ganz gut, um in Erfahrung zu bringen, wo besonders bemerkenswerte Bäume stehen.“
Schon immer sei er in den Wäldern besonders aufmerksam unterwegs gewesen, um die Raritäten zu entdecken. „Ich bin erstaunt, dass viele Leute selbst an den sehr großen Bäumen einfach vorbei laufen!“ Er schüttelt den Kopf – dabei kann man sie ganz gut erkennen, wenn man sein Auge ein wenig schult. Und genau das wollen wir ausprobieren und begeben uns deshalb mit Michel Grün auf Baumtour in den Nationalpark. Die akribische Vorarbeit hat er glücklicherweise ja bereits geleistet, er weiß also, was er uns zeigen kann. Denn bis alle Bäume gefunden und kartiert sind auf dem 10.000 Hektar großen Gebiet, ist viel Fleißarbeit notwendig.
„Zuallererst habe ich Förster und Waldarbeiter befragt, auch Anwohner. Menschen also, die viel im Wald unterwegs sind und ihn gut kennen. Eine gute Quelle. Dann habe ich Luftbilder mit Höhenmodellen aus unserem GIS-Labor [Anm. d. Red.: GIS = Geoinformationssystem] kombiniert, so konnte ich einige „verdächtige“ Stellen für besonders hohe Bäume festmachen. Und dann hieß es: selbst rausgehen, den Wald ablaufen, Bäume suchen.“ Klingt anstrengend. Grün muss schmunzeln: „Ja, man kann sagen, ich kenne das Gebiet jetzt wirklich sehr gut, wahrscheinlich teilweise besser als manch ein Ranger.“ Aber, so Grün, das Ablaufen des Waldes sei wichtig. Denn besondere Bäume sind eben oft Zufallsentdeckungen. Am Ende hat er jeden einzelnen Baum vermessen, fotografiert, die GPS-Daten erfasst, den Baum in eine Karte eingetragen und die Daten in einer Tabelle zusammengefasst.
„Die Datenbankerstellung hat eine Weile gedauert. Aber die meiste Zeit ging dabei drauf, rauszugehen und die Bäume anzuschauen. An einem schlechten Tag habe ich fünf Bäume geschafft, an einem guten Tag mehr als 20.“ Am Ende seines Praktikums hatte der Student gut 300 Bäume im Nationalpark gefunden. Das dürften die meisten Bäume sein, die momentan als „besonders“ einzustufen sind. Im Nationalpark ist nun geplant, einzelne Bäume über Jahre hinweg zu beobachten; zusätzlich werden Fotopunkte bestimmt, so kann man Jahresreihen erstellen, also jedes Jahr von der gleichen Stelle aus Fotos machen.
Während Michel Grün all das auf dem Weg von Baum zu Baum erzählt, konnten wir bereits einige Besonderheiten sehen: Blumentopf, Stelzenwurzler, Harfenwuchs, Unglücksbalken, Klebast, Reiteration, Storchennestkrone – all das sind uns jetzt keine Fremdworte mehr, und wir verstehen mittlerweile, dass es lohnt, mit offenen Augen durch den Wald zu laufen. Denn gerade diese „gestörten“ Wuchsformen erzählen Waldgeschichte. Brände, Verbiss durch Tiere, Stürme, Erdrutsche, kalte und warme Jahre kann man hier erkennen – und auch, dass manche Gegenden von Waldarbeitern gemieden wurden, weil die Holzernte zu aufwändig gewesen wäre.
„Ich suche mir gezielt besonders steile Zonen aus, weil da die Menschen noch nie so besonders gut hinkamen. Deshalb stehen da oft schöne Exemplare“, erklärt Grün. Auch findet man sie eher im Tal, denn je höher die Waldfläche, umso ungestörter können Stürme wüten und den Wald jung halten. Und je näher an den Ortschaften und der Holzindustrie, umso weniger gibt es zu finden. Die einzige Ausnahme bildet hier das Gebiet am Wilden See, der schon seit mehr als 100 Jahren Bannwald ist. „Manchmal hat man auch deutlich gesehen, warum ein Baum stehengelassen wurde: weil er so gewachsen ist, dass er für die Holzindustrie uninteressant war!“
Michel Grün sagt, dass es besonders in den Tälern, wo die Wasserversorgung konstanter und der Windeinfluss geringer ist, in Zukunft größere Ansammlung besonders hoher und alter Bäume geben wird. Jetzt, da der Wald auf der Fläche des Nationalparks in Ruhe gelassen wird. Und was waren die größten und ältesten Bäume, die er gefunden hat? „Tannen mit Durchmesser bis 1,50 Meter gibt es hier einige – Fichten sind generell etwas schmaler“, so Grün. „Einsame Spitze ist die sogenannte „Große Tanne“ mit 1,60 Meter. Und am Huzenbacher See gibt es eine Fichte mit einem Durchmesser von 1,36 Meter. Das ist vermutlich eine der größten im Schwarzwald!“
(Fotos: Franziska Schick, Michel Grün)