Mehrmals im Jahr bietet der Nationalpark die Möglichkeit, mitten in der Natur unter freiem Sternenzelt zu nächtigen. Die Redaktion war beim Ausflug „Kochen und übernachten in der Wildnis“ dabei.
Das Wichtigste passt schon einmal an diesem Samstagnachmittag: Die Sonne scheint vom blauen Himmel auf die kleine Gruppe Abenteurer herab, die sich auf dem Parkplatz des Nationalpark-Zentrums am Ruhestein versammelt hat. Von Regen, so auch die Prognose für das
ganze Wochenende, weit und breit keine Spur. Beste Bedingungen für die zehn Teilnehmer, die zusammen mit Nationalpark-Rangerin Heidrun Zeus die nächsten 24 Stunden im Wald verbringen wollen. Raus aus dem Alltag, rein in die Wildnis und unter freiem Himmel übernachten. Auf den ersten Blick wird offensichtlich, dass sich das bei weitem nicht nur Erwachsene trauen. Familie Frohloff aus Achern hat ihre Kinder Rike und Björn dabei, beide seit fünf Jahren „Junior-Ranger“ im Nationalpark und somit absolute „Wildnis-Profis“. Auch der elfjährige Alberto Bischoff und die achtjährige Sina Wünsche begleiten ihre Väter auf der spannenden Tour.
Fünfmal im Jahr bietet der Nationalpark Schwarzwald die Zweitages-Trips im Jahresprogramm an, wobei jeweils verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden. Dieses Mal heißt er „Kochen in der Wildnis“, also über offenem Feuer. „Die meisten der Rezepte habe ich selbst einfach mal zu Hause ausprobiert“, erzählt Rangerin Heidrun Zeus, die als Führerin die Gruppe leiten wird. „Man kocht bei einer Feuerstelle immer mit Strahlungswärme. Indem der Abstand zum Feuer vergrößert oder verkleinert wird, schafft man sich verschieden heiße Zonen, in denen jeweils unterschiedliche Gerichte zubereitet werden können. Es ist erstaunlich, was man da alles machen kann!“
Nun aber los! Per Konvoi geht es erst einmal einige Kilometer zum Parkplatz „Seibelseckle“, dem Startpunkt der Wanderung. Die genaue Lage des Camps müsse aber geheim bleiben, verdeutlicht Heidrun Zeus, damit keine Wildcamper animiert werden. Schließlich sind die Rucksäcke geschultert und die Tour beginnt. Während die Kinder und Jugendlichen darum wetteifern, Heidrun Zeus‘ Labrador-Hündin Paula an der Leine zu führen, erklärt deren Frauchen bereits allerlei am Wegesrand. Dort stehen Rotklee und Waldweidenröschen, die sich hervorragend als Wildkräuter in Mahlzeiten verarbeiten lassen. Weil sich die Gruppe knapp außerhalb der Nationalpark-Grenze bewegt, können diese auch zum späteren Verzehr eingesammelt werden. „Innerhalb des Parks muss natürlich alles stehen bleiben“, mahnt Heidrun Zeus.
Als es schließlich vom befestigten Weg auf einen Naturpfad geht, entdeckt die Rangerin auf einem Stein ein „Gewölle“. Das ist ein Knäuel aus Beutetierresten von Eulen, die unverdaulich sind und deshalb wieder herausgewürgt werden: zumeist Fell und Knochen. „Durch die Analyse der Bestandteile eines Gewölles kann man sehr gute Rückschlüsse auf den Speiseplan der Vögel ziehen“, erklärt Heidrun Zeus.
Nach einer halben Stunde Fußmarsch öffnet sich vor der Gruppe eine Lichtung: Das Camp ist erreicht. Zwei Schutzhütten für Sturm und Schlechtwetter, eine Feuerstelle und eine Wiese. Mehr ist da nicht. Neben der Wiese plätschert ein Bach und versorgt die Abenteurer mit Wasser. „Erst mal Feuer machen“, sagt Heidrun Zeus und schickt die Wanderer ein Stück den Berg hinauf, wo die Ranger Brennholz vorbereitet haben. Da alle mit anpacken, züngeln schon nach kurzer Zeit muntere Flammen im Steinkreis. „Das finde ich eine der schönsten Sachen an den Übernachtungscamps“, freut sich Heidrun Zeus. „Es kommen Menschen der unterschiedlichsten Couleur hierher, aber es klappt immer mit der Team- und Zusammenarbeit. Das Zwischenmenschliche funktioniert sehr gut in der Natur, jeder hilft dem anderen, wo er kann.“
So auch beim Wildkräutersammeln. Unter Anleitung der Rangerin pflücken die Wanderer neben den schon bekannten Rotklee und Waldweidenröschen noch Schlangenknöterich oder „Spinat des Waldes“, wie Heidrun Zeus ihn nennt. Dazu Bärwurz und Schafgarbe. „Die kommen nachher in den Joghurt“, erklärt sie mit einem Augenzwinkern. Binnen weniger Minuten liegt genügend Grünzeug bei der Kochstelle, um die Speisen für zehn Personen zu würzen. Und alles war allein auf der Waldwiese im nächsten Umfeld zu finden. „Wer weiß, was essbar ist, muss nicht lange suchen“, erklärt Heidrun Zeus. „Vieles steht vor der Nase.“ So auch Bäume, aus deren Nadeln Tee ausgekocht werden kann. „Das geht bei Tanne wie Fichte“, erzählt die Rangerin. „Douglasie schmeckt
orangenartig, Lärche hingegen wie Zitrone.“
Mittlerweile hat das Feuer die richtige Hitze entwickelt – die Zubereitung kann beginnen. Heidrun Zeus hat aus einer der Schutzhütten große Töpfe und Kochgeschirr herangeschafft. In einer Blechkanne wird zuerst einmal Wasser heiß gemacht, schließlich gilt Kaffee bei den meisten Erwachsenen als eine Art Grundnahrungsmittel. Auf einem großen Stein schnippelt Silke Pfeiffer aus Birkenfeld die gesammelten Wildkräuter sowie Zwiebeln und Knoblauch und vermischt alles mit dem mitgebrachten Naturjoghurt. „Mein Lebensgefährte Bernd und ich wollten schon immer mal in der Wildnis übernachten“, erzählt sie nebenbei. „Das ist ja eigentlich verboten, deshalb hatten wir es noch nicht versucht. Als wir von der Tour erfuhren, waren wir sofort dabei.“
Ein paar Meter weiter knetet Silke Pfeiffers Freund Bernd Flößer mit Sina Wünsche Brotteig in einem großen Kessel. Heidrun Zeus selbst bereitet die Graupen vor und füllt hierzu eine Glasflasche halb mit Wasser. Dann gibt sie die Graupen, Zwiebeln und Knoblauch hinzu und stopft oben in die Öffnung ein feuchtes Papiertaschentuch als Aschefang. „Die Flasche muss sich langsam erwärmen, damit sie von der Hitze nicht springt“, erklärt Heidrun Zeus und platziert das Gefäß einen halben Meter vor den offenen Flammen.
Nach und nach richten die Teilnehmer ihre Schlafplätze ein. Einige legen ihre Isomatten mitten auf die Wiese. Die naturerfahrenen Juniorranger Rike und Björn sind natürlich professioneller ausgerüstet und binden ihre Reisehängematten zwischen den Bäumen an. Sina Wünsche und ihr Vater Christopher schlagen ihr Nachtlager auf einem Baumhaus auf, das ein paar Schritte von der Wiese entfernt im Wald steht. Die Kinder erkunden nebenher die Umgebung und bringen schnitzend ihre Taschenmesser zum Einsatz.
Inzwischen werden die Hauptgerichte aufgesetzt: Ein Hähnchen wird mit Zitronen gespickt und mithilfe vieler Hände in Salzteig eingewickelt. „Da darf kein Loch in der Teighülle sein“, mahnt Heidrun Zeus, denn die große „Teigkugel“ wird gänzlich für zwei Stunden in der Glut eingegraben. „Das sieht nachher aus wie ein verkohltes Ei, ist innen aber supersaftig“, lacht Heidrun Zeus. Für die Ente bauen Bernd Flößer und Werner Bischoff eine wirklich außergewöhnliche Konstruktion unter Anleitung der Rangerin: Sie treiben zwei massive, zirka zwei Meter hohe Stangen aus Baustahl senkrecht in die Feuerstelle und befestigen oben einen horizontalen Querbalken. Daran wird mit Hanffaden die Ente angebunden, sodass sie frei über dem Feuer baumelt. „Jetzt muss jemand die Ente permanent in Drehung halten, damit der Faden nicht anbrennt“, erklärt Heidrun Zeus. Auch hier ist also Teamwork gefragt.
Während Huhn und Ente brutzeln, vervollständigt sich das Menü: Lammkoteletts auf dem glühenden Holzscheit gegrillt, Auberginen direkt aus der Glut und zum Nachtisch Bananen mit Schokoladenfüllung. Auf Steinen um die Feuerstelle sitzend verspeisen die „Wildnisköche“ ihre Leckereien Stück für Stück und begießen das Ganze mit einem frischen Schluck Quellwasser und Holundersirup. „Das war wirklich sehr lecker“, freut sich Alberto Bischoff nach dem ausgiebigen Festmahl, „auch wenn es länger gedauert hat als in der Küche daheim“.
Alberto gehört zu den wenigen Hartgesottenen, die ein kurzes Bad im Bach nehmen, als es langsam dämmert. Bei gefühlten vier Grad Wassertemperatur eine echte Überwindung. Auch das Geschirr wird im Bach und nur mithilfe von Flusssand gespült. Danach heißt es wieder an der Kochstelle aufwärmen – echte Lagerfeuerromantik! Nach und nach löst sich die Gruppe auf, einer nach dem anderen bezieht das Nachtlager. Schließlich wird es ganz still, nur das Rauschen des Baches ist zu hören und hin und wieder ein Geräusch der großen und kleine Tiere des Waldes. Die Siebenschläfer, die laut Heidrun Zeus oft auf den Dächern der Schutzhütte turnen, haben sich heute leider nicht blicken lassen… denkt man noch und ist schon weggedämmert. Die frische Luft und der aufregende Tag sorgen für einen schnellen Schlaf.
Als sich die Gruppe früh am nächsten Morgen wieder langsam sammelt, hat Heidrun Zeus natürlich schon längst Feuer gemacht und begrüßt „ihre“ Wanderer mit einem Lächeln und einem Becher Kaffee. Besser könnte der Start in den Tag kaum ausfallen. Zum Frühstück gibt es „Armen Ritter“, selbstredend wieder über dem Feuer zubereitet. Mit den ersten Bissen kehrt auch langsam die Munterkeit zurück und man spricht über die Erlebnisse der Nacht. Alberto ist ein paar Mal aufgewacht und hat Bekanntschaft mit ein paar Motten und Spinnen gemacht. Rike und Björn sind irgendwann aus ihren Hängematten auf den Boden umgezogen. „Irgendwer hat heute Nacht geschnarcht“, erzählt Björn. „Ich glaube, das war der Hund“. Der Rest der Gruppe blieb davon unbeeindruckt und hat durchgeschlafen.
Nach dem Aufräumen und der kurzen Wanderung zurück zum Parkplatz bleibt noch die Verabschiedung. Es sind sich alle einig, dass dies nicht die letzte Übernachtung im Nationalpark war. „Ich fand es erstaunlich, was wir alles gelernt haben“, resümiert Silke Pfeiffer, „und was kulinarisch in der Wildnis alles möglich ist“. Auch für sie steht fest: Es wird ein Wiedersehen geben – mit dem Nationalpark, im „Restaurant der 1000 Sterne“.