Es ist stockdunkel. Ziemlich kalt. Und nass. Kein Wunder: Ich stehe an einem regnerischen Sonntag im April um drei Uhr früh mitten im Schwarzwald. Glücklicherweise nicht allein. Ich begleite Walter Finkbeiner, einen der Ornithologen des Nationalparks Schwarzwald, auf besondere Mission: als Zuschauer zur Auerhuhnbalz. Hier, inmitten des Nationalparks und bei der stark gefährdeten Art des Auerhuhns geht es ums vorsichtige Beobachten und Zählen des Bestandes. Das ist das A und O im Nationalpark und eine der Hauptaufgaben des wissenschaftlichen Monitorings: Schauen, was, wann, wo und wie zahlreich lebt und gedeiht. Und ansonsten: Finger weg und die Natur Natur sein lassen.
Beobachtungsposten: irgendwo mitten im Wald
„Ich werde dir jetzt nicht sagen, wo wir genau sind“, flüstert der Auerhuhn-Fachmann mir zu. „Es soll ja keiner wissen, wo die Balzplätze sind. Sonst kommen am Ende zu viele Menschen quer durch den Wald gestapft, um auch mal ein Auerhuhn zu sehen.“ Das wäre fatal. Denn gerade nach der langen kalten Jahreszeit sind die Tiere am Ende mit ihren Reserven. Bald gibt es wieder genug zu fressen, aber jetzt kann jede Störung noch den Tod bedeuten, wenn sie ihre Kraft auf der Flucht unnötig verbrauchen.
Aber da muss er sich wirklich keine Sorgen machen. Ich habe bereits auf der Fahrt hierher die Orientierung verloren – und auf den letzten Kilometern auf Schusters Rappen bin ich vor allem damit beschäftigt, nicht in die vom Berg herabsprudelnden Bäche zu treten. Denn wenn ich jetzt nasse Füße bekomme, wird es ein sehr ungemütlicher Morgen. Walter hat mir eingeschärft: „Zieh dich warm und trocken an. Wenn wir am Unterstand angekommen sind und uns eingerichtet haben, müssen wir mehrere Stunden mucksmäuschenstill und möglichst regungslos sitzen!“
Monitoring: bequem geht anders
Das schreckt mich nicht – einmal im Leben Auerhühner bei der Balz beobachten, dafür wende ich gerne alle Geduld auf, die ich habe. Also tappen wir leise zum Unterstand, einem getarnten kleinen Zelt mit Sichtluken. Hier wickeln wir uns zusätzlich in dicht gewebte Filzdecken und holen alles aus den knisternden Nylon-Rucksäcken, was wir später brauchen. Vor allem natürlich Ferngläser. Alles verstaut? Dann Ruhe jetzt!
Es beginnt: das Warten. Das lange, lange Warten. Langsam schleicht sich das Morgenlicht heran und ich erkenne meine Umgebung. Wir sitzen am Rand einer Hanglichtung, auf der noch immer einzelne Schneefelder zu sehen sind. Ideal für die Bodenbalz. Denn der stolze Auerhahn weiß, dass er die Hennen mit seinem schwarzen Gefieder und den leuchtend roten Augenflecken vor dem weißen Hintergrund besonders gut beeindrucken kann.
Die Geduld wird belohnt
Leider regnet es weiter – keine guten Voraussetzungen. Und doch: Endlich zeigt sich ein Auerhahn, trippelt ein wenig umher, fächert ein paarmal probehalber seine Schwanzfedern auf. Aber offenbar ist keine Henne zugegen. Und für uns ist die Show nicht gedacht. Also spart er Energie und wartet. Wie wir auch. Einige Zeit später kommt wieder Bewegung in den Hahn: plötzlich taucht ein Rivale auf. Einer, der trotz der widrigen Bedingungen munter das Balzen beginnt. Da muss doch…
Tatsächlich: Walter deutet auf eine Bewegung am Waldrand. Eine Auerhenne! Der hübsche, braungesprenkelte Vogel begutachtet das Angebot. Aber offenbar ist die Dame nicht sonderlich angetan. Am Ende verschwindet sie, keiner der Hähne darf ihr zwecks Begattung folgen. Irgendwann geben auch die beiden Hähne für diesen Morgen wieder auf und entfernen sich langsam vom Balzplatz. Und Walter Finkbeiner und ich treten ebenfalls leise, leise den Rückzug an.
AKTIONSPLAN AUERHUHN
Um den Bestand des seltenen Auerhuhns zu schützen oder sogar zu vergrößern wurde im Jahr 2007 der „Aktionsplan Auerhuhn“ erstellt. Hier geht es vor allem um die regelmäßige Zählung der balzenden Auerhähne und die Verbesserung der Lebensbedingungen für die Art. Auf dem Gebiet des Nationalparks Schwarzwald wird dieser Aktionsplan von den Parkmitarbeitern im naturwissenschaftlichen Forschungs-Fachbereich und im Forstfachbereich umgesetzt. In regelmäßigen Abständen werden die Hähne am Balzplatz gezählt. Unter der Annahme, dass auf jeden Hahn eine Henne kommt, wird daraus die Größe der Gesamtpopulation abgeleitet.
Gezählt wird alles, einfach alles!
Nicht nur die Auerhühner haben die Forscher besonders im Blick. Es gilt, möglichst alle Tier-, Pilz- und Pflanzenarten auf dem Gebiet des Nationalparks Schwarzwald zu erfassen und die Entwicklung der Bestände zu beobachten. Natürlich sind für Besucher einige Arten interessanter als andere – und einige Arten sind besonders für diesen Nationalpark. Die bekanntesten Arten, die der Nationalpark „unter die Lupe“ nimmt, sind neben dem Auerhuhn andere seltene Vögel wie der Dreizehenspecht, Sperlings- und Raufußkauz, aber auch Rotwild, Kreuzottern oder Fledermäuse. Bei den Spinnen und den Pilzen wurden sogar zwei Vertreter entdeckt, die bislang für ganz Baden-Württemberg unbekannt waren. Und so akribisch, wie der Nationalpark untersucht wird, folgen der Zitronengelben Tramete und der Springspinne Saxicola sicherlich noch weitere, bislang im Verborgenen lebende „Neuentdeckungen“…
Nationalpark im Modell
Um alle im Nationalpark lebenden Tiere, Pflanzen und Pilzen zu beobachten, ist auch wichtig zu wissen, wie sich mit der Zeit der Wald um sie herum entwickelt. Deshalb betrachten die Forscher den Nationalpark nicht nur „in Echt“ und am Boden, sondern auch in Geländemodellen und aus der Luft. Erstellt werden die Modelle mithilfe von Luftaufnahmen. Beim Überfliegen nehmen spezielle Kameras sich überlappende Bilder auf, und Laser tasten die Entfernungen zur Oberfläche ab. Aus diesen Daten entstehen dreidimensionale Modelle des Nationalparks auf dem Computer. Wenn sich der Wald im Laufe der Zeit ändert, kann man das an diesen Modellen gut sehen. Und kann abgleichen, ob sich das Vorkommen verschiedener Arten davon abhängig geändert hat.
Warm, kalt, nass, trocken – Wetter ist wichtig
Auch ein Wetterbeobachtungsnetz haben die Forscher im Nationalpark installiert. Zwanzig mobile Wetterstationen sammeln Daten zur Temperatur, Luftdruck, Lichteinstrahlung und -stärke, Luftfeuchtigkeit, Windstärke und -richtung und Niederschlagsmenge. Mit diesem Messnetz wird künftig ein engmaschiges Klimamodell für die gesamte Nationalparkfläche berechnet. Legt man die Daten aus dem Monitoring der Lebewesen auf die Daten des Klima-Monitorings, ergibt sich ein ganz spezifisches Muster. Ein Muster, das erklären kann, warum bestimmte Arten auftauchen oder verschwinden. So hoffen die Forscher in vielen Jahrzehnten ein Bild von den Prozessen und Anpassungen einer Natur zu erhalten, auf die der Mensch keinen Einfluss mehr nimmt.
Bilder: shutterstock/Xseon, shutterstock/KOO, Franziska Schick, shutterstock/taviphoto