Netzwerkspezialisten der Natur
Sie sind weder Tier noch Pflanze,weder Einzeller noch Pilz – Schleimpilze sind ganz eigene Organismen, besitzen aber Merkmale all dieser Gruppen. Weltweit sind gut 1.000 Arten bekannt. Mehr als 100 davon konnten schon im Nationalpark Schwarzwald nachgewiesen werden.
Sie präsentieren sich häufig als knallgelbe oder -rote Schleimmasse auf feuchten Waldböden oder verwitterten Baumstämmen: Dieser Optik verdanken Schleimpilze die erste Silbe ihres Namens. Andere Arten sind weit schwerer wahrzunehmen. Sie sind fast durchsichtig, mikroskopisch klein oder leben sozusagen unter Tage. Mit einem Pilz mit Hut und Lamellen haben sie alle wenig gemein. Weil sie zur Fortpflanzung genau wie Pilze Fruchtkörper und Sporen ausbilden, wurden sie dennoch dieser Gruppe zugeordnet und der Wissenschaft, die sich mit ihnen befasst – der Mykologie.
Der faszinierende Zyklus der Schleimpilze
„Schleimpilzsporen keimen mit Amöben, Pilzsporen tun das mit Hyphenschläuchen“, erklärt Dr. Flavius Popa, Sachbereichsleiter für Mykologie und Bodenökologie im Nationalpark Schwarzwald. In jedem einzelnen ihrer Fruchtkörper befindet sich eine Sporenmasse. Sind die Bedingungen günstig für eine Schleimpilzart, platzen die Sporenhüllen und es schlüpfen kleine Protoplasten. Diese Miniamöben sind alle mit einem einfachen (haploiden) Chromosomensatz ausgestattet, auf dem das Erbmaterial dieser Schleimpilzart gespeichert ist. Ist die Umgebung feuchter, bilden die Protoplasten eine längere Geißel aus, um sich gut fortbewegen zu können. Damit aus den Keimzellen kleine Schleimpilze entstehen, müssen zwei verschmelzen. Dadurch entsteht eine so genannte Zygote mit einem doppelten (diploiden) Chromosomensatz. Aus ihr entwickelt sich schließlich ein diploides Plasmodium, ein kleiner Schleimpilz. Und damit aus ihm ein großer entsteht, verschmelzen viele Individuen zu einer Riesenamöbe – und hier schließt sich der Kreis, genauer gesagt der Zyklus zur knallgelben oder -roten Schleimmasse am Wegesrand.
Spezialisierte Arten im Nationalpark
Die Bedingungen, unter denen Schleimpilzsporen keimen, sind fast so zahlreich wie ihre Arten. Eine Vielzahl ist hochspezialisiert. Manche keimen nur bei Temperaturen ab 20 Grad Celsius, andere nur unter einer geschlossenen Schneedecke. Diese nivicolen Schleimpilze bilden ihre Fruchtkörper während der Schneeschmelze auf pflanzlichem, also organischem Material wie Brombeerstängel.
Um den Keimprozess zu starten, benötigen sie eine über mehrere Wochen geschlossene Schneedecke. Doch das kommt in Deutschland neben dem Alpenraum nur noch in höheren Lagen der Mittelgebirge vor. In warmen Wintern treten nivicole Arten deshalb oft nicht in Erscheinung. Doch Schleimpilze sind geduldig, auch ihre Sporen können Jahrzehnte überstehen. Eine noch engere Nische zeigt die erst 2011 beschriebene Art „Lamproderma lycopodiicola“. Sie pflanzt sich nur auf Bärlappen fort – und das auch nur während der Schneeschmelze. „Diese Art wurde im Frühjahr 2018 erstmals im Nationalpark nachgewiesen“, erzählt Popa und ergänzt, dass das Gebiet um den Nationalpark erstmals vom Bühler Mykologen Hermann Neubert († 11.08.2003) auf Schleimpilze untersucht worden sei. Neubert habe auch die Art „Lamproderma laxum“ aus dem ehemaligen Bannwald neu für die Wissenschaft beschrieben. Sie ist bis heute nur aus diesem Gebiet bekannt. Ebenfalls auffällig und im Nationalpark häufig vertreten ist die „Gelbe Lohblüte“, auch „Hexenbutter“ genannt (Fuligo septica). „Ihre großen, gelben Fruchtkörper sind kaum zu übersehen“, erwähnt der 34-Jährige.
Schleimige Intelligenz, optimaler Netzwerker
Schleimpilze haben eine ganz eigene Form von Intelligenz, die sich unter anderem dann zeigt, wenn es um das Errichten von effizienten und stabilen Netzwerken geht. Augenscheinlich wurde das bei einem spektakulären Experiment japanischer Wissenschaftler mit „Physarum polycephalum“, dem „Gelben Blob“. Sie setzten eine gelbe Riesenzelle auf eine Mini-Blaupause des Schienennetzes von Tokyo, boten ihr optimale Bedingungen, nämlich einen feuchten und dunklen Ort, und legten eine Spur aus Brotkrumen. Im Falle des Blobs handelte es sich bei den Brotkrumen um Haferflocken. Diese markierten die Bahnstationen. Auf dem Weg zu den Haferflocken bildete der gelbe Blob das Schienennetz Tokyos nach. Zeitrafferaufnahmen zeigen eindrücklich, wie effizient und schnell er vorgegangen und vorangekommen ist – nämlich ein bis zwei Zentimeter pro Stunde.
Wachstum von Krebszellen verstehen lernen
Schon zehn Jahre zuvor, im Jahr 2000, habe der gelbe Blob bei Experimenten für einen Wow-Effekt gesorgt und den schnellsten Weg aus einem Labyrinth auf dem Weg zu Haferflocken gefunden, erzählt Popa: „Der Blob hat sich aus Sackgassen und Umwegen zurückgezogen und die neue Versorgungsader verdickt – das ist spektakulär“. Man weiß, dass jeder Schleimpilz auf sein eigenes Umfeld und auf das der benachbarten Teile reagiert. Diese Art der Informationsverwertung ist eine Form von Intelligenz. Außerdem sorgt sie für mehr Verständnis bei Wissenschaftlern, die sich diese Kenntnisse vielfältig zunutze machen werden, da ist sich Popa sicher. Sei es bei Robotik und Computerwissenschaften oder bei der Frage, wie Krebszellen durch den Körper wandern.