Mehr Raum für Wildnis schaffen – das ist eines der großen Ziele der Landesregierung Baden-Württemberg. Auch der Nationalpark Schwarzwald soll weiterentwickelt werden. Neben den gesetzlich verankerten Gremien sind die Bürgerinnen und Bürger aus Region und Land beteiligt. Der mehrstufige, transparente Prozess zu seinem inhaltlichen Ausbau läuft seit April. Er endet im Frühsommer 2023. Dann werden die Ergebnisse als Empfehlungen an die Landesregierung übergeben. Erste Erkenntnisse sind schon gewonnen: zu zentralen Themen, Akzeptanz und wertvollem Zusatznutzen.
Der Nationalpark Schwarzwald wird räumlich wie inhaltlich weiterentwickelt. Sein Wachstum in der Fläche ist Sache der zuständigen Landesministerien und Behörden. Mit der Vorbereitung der inhaltlichen Weiterentwicklung wurde der Nationalpark vom Umweltministerium beauftragt – gemeinsam mit Nationalparkrat und Beirat sowie einem eigens hierfür eingerichteten Bürgerforum. „Im Grunde geht es dabei um Themen, die uns immer schon beschäftigen“, so Britta Böhr. Böhr ist stellvertretende Leiterin des Nationalparks, in deren Ressort Nationalparkplanung, regionale Entwicklung und Tourismus der Beteiligungsprozess angesiedelt ist. „Wir haben von Beginn an die Region und ihre Bewohnenden in allen Belangen einbezogen“, sagt sie. „Dass wir vor seiner Weiterentwicklung die Erfahrungen, Bedürfnisse und Ideen der Menschen in Land und Region erneut berücksichtigen, unsere Themen mit dem, was sie bewegt und ihnen unter den Nägeln brennt, bereichern, ist daher nur die logische Konsequenz“.
Instrumente der Beteiligung
Wo Handlungsfelder liegen, wurde schon ab dem Sommer 2021 in Vorgesprächen mit kommunalen Vertretern und Gremien eruiert. Abseits davon lieferte eine repräsentative Telefonumfrage Anhaltspunkte darüber, welche Chancen und welche Risiken die breite Bevölkerung mit Blick auf die Weiterentwicklung sieht. Dieses Gremium ist laut Luisa Gigler das Herzstück des Beteiligungsprozesses, den sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Marina Bauer im Nationalpark betreut. Es setzt sich aus jeweils 25 zufällig ausgewählten Personen aus der Region und aus anderen Teilen Baden-Württembergs zusammen. Über 1.000 Menschen wurden über das Melderegister in Absprache mit den Gemeinden um den Nationalpark angeschrieben und dazu eingeladen. „Schon nach zwei Tagen hatten wir genug Rückmeldungen, und die waren durchweg positiv“, erzählt Gigler begeistert von diesem Kuratorium, das mit Frauen und Männern jeden Alters, aus unterschiedlichen Disziplinen und sozialen Schichten besetzt ist. „Viele fühlen sich geehrt, gefragt worden zu sein, und investieren gerne ihre Freizeit, um an den insgesamt sechs Sitzungen bis zum Prozessende Anregungen zu diskutieren, zusammenzufassen und zuletztin Empfehlungen zu formulieren,“ ergänzt die 28-Jährige.
Fünf Themenkomplexe
Mit Arten- und Prozessschutz, Verkehr und Infrastruktur, Bildung und Teilhabe, Nationalpark und Region und Freizeitnutzung konnten fünf Themenfelder differenziert werden. Impulse und Anregungen dazu werden in je einer Sitzung im Bürgerforum vorgestellt und diskutiert. Input kommt von Fachleuten, aus der begleitenden Online-Beteiligung unter nationalpark-schwarzwald-im-dialog.de und den Themenworkshops und -führungen, über die sich die Bürgerschaft bis weitin den Herbst hinein informieren und einbringen kann. Schon bei der Auftaktveranstaltung am 9. Juli in Forbach wurden erste Anregungen gesammelt. Die dort gewonnenen Erkenntnisse kombiniert mit den bis dato erfolgten digitalen Eingaben zeigen Tendenzen, was die Menschen am meisten bewegt. Viele Verständnisfragen gingen zum Thema Prozessschutz ein. „Das hat uns gezeigt, dass wir noch besser darin werden müssen zu erklären, was Prozessschutz bedeutet, nämlich die Prozesse in der Natur geschehen zu lassen, ohne einzugreifen“, erklärt Böhr das ureigenste Nationalparkthema. Dass das der Natur auf einer größeren Fläche mit einer größeren Kernzone besser gelänge, erkläre den Wunsch nach der Erweiterung. Der Auftrag, diese Wissenslücken über alle Kanäle zu füllen, sei ein wertvoller Beifang der Befragungen, räumt die stellvertretende Leiterin ein. Fragen rund um die Natur werden im Übrigen nicht am grünen Tisch behandelt, sondern eben in der Natur – etwa bei Führungen mit Rangern und Wissenschaftlern.
Verkehr bewegt
Mit die meisten Rückmeldungen erzielt das Schwerpunktthema Verkehr und Infrastruktur. In einem Workshop Anfang September wurde das Thema erneut aufgegriffen. Experten aus Nationalparkverwaltung, den beteiligten Verkehrsverbünden und Landkreisen haben die komplexen Zusammenhänge und die Fragen der Teilnehmenden direkt beantwortet. Auch eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern von Nationalparkrat, -beirat und dem Steuerkreis Verkehr unter dem Vorsitz von Landrat Rückert werde das Thema bearbeiten, verspricht Böhr. Für die Bewohner der Region und die Gäste gehe es eher um Anbindung, die Taktung der Buslinien und die Routen, die sie befahren, doch hier habe der Nationalpark selbst keine Handhabe. Böhr: „Wir sind auf die Kooperation der Landkreise, der Behörden und Verkehrsverbünde angewiesen.“ Konsens herrscht im Wunsch, den Verkehrslärm und Individualverkehr zu reduzieren, wobei die Sichtweise des Nationalparks auch hier konzeptioneller Natur ist, während Anwohner und Besuchende ihren individuellen Nutzen im Blick haben. Diese zwei Seiten einer Medaille zeigen sich auch rund um die Freizeitnutzung. Etwa bei Anregungen zur Wegeführung oder dem Wunsch, Sperrungen besser zu kommunizieren, wie sie in Brut- oder Balzzeiten nötig sind. Wo Nationalpark und Region bereits zusammenarbeiten, solle deutlicher dargestellt werden. Auch eine bessere Vernetzung mitjenen Ortsteilen, die stärker von all dem betroffen sind, was den Nationalpark ausmache, wurde angeregt. „Diesem Thema widmen wir uns gesondert in Arbeitskreisen und Workshops, wir haben auch schon das Gespräch mit den Menschen und Ortschafträten gesucht“, resümiert Böhr.
Sammeln, bündeln, formulieren
Alle Anregungen und Wünsche, die auf digitalem Weg oder über die Präsenzveranstaltungen gesammelt werden konnten, finden den Weg ins Bürgerforum. Dort werden sie in fünf separaten Sitzungen diskutiert – eine pro Themenfeld. Im sechsten und letzten formuliert das Gremium seine Empfehlungen an die Landesregierung. Das soll zum Jahresende der Fall sein. „Das ist ein erster Entwurf, der über die Online-Plattform von allen eingesehen und von registrierten Personen auch kommentiert werden kann“, erklärt Luisa Gigler. Die gebürtige Mitteltalerin wirbt außerdem dafür, sich über die Plattform regelmäßig auf den aktuellen Stand zu bringen: „Wir bespielen Blog und Newsletter regelmäßig mit Fachbeiträgen, die dabei helfen, manches besser zu beurteilen; außerdem sind der Nationalpark wie auch der Beteiligungsprozess kurz skizziert, auch Tendenzen aus vergangenen Veranstaltungen sind abgebildet und eine Übersicht anstehender Termine einzusehen. “Die Endfassung der Empfehlungen soll im Frühsommer des neuen Jahres an die Landesregierung übergeben werden. Sie bildet die Grundlage für die folgende Diskussion zur Weiterentwicklung. Wann diese sein wird, sei ungewiss. „Wir haben keinen Hinweis darauf, wie weit die Gespräche mit Eigentümern der dafür in Frage kommenden Flächen vorangeschritten sind, das ist Landessache“, so Böhr, die angesichts der weltpolitischen Lage keine Prognose wagen möchte. „Momentan ringt die Landesregierung und allen voran das zuständige Umweltministerium darum, dass die Menschen im Land unabhängig von russischem Gas im Winter genug Strom und Energie zur Verfügung haben werden. Und wie das alles im Frühjahr des kommenden Jahres aussehen wird, steht noch in den Sternen.“