Natur für jeden zugänglich zu machen, ist von Beginn an Ziel des Nationalpark Schwarzwald. Die Zauberformel dafür lautet „dezentrale Inklusion“. Das bedeutet, Erlebniswelten für Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen an unterschiedlichen Orten schaffen, Barrieren ab- und möglichst keine neuen aufbauen. Kreativmotoren dafür sind die Natur- und Wildnisbildung und die Arbeitsgruppe Inklusion.
Barrierefreiheit spielt in alle Bereiche des Nationalpark Schwarzwald hinein – von der Übermittlung an Information über die Angebots- bis zur Infrastruktur. Deshalb ist sie im Leitbild des Nationalparks fest verankert. An ihr werden alle fachübergreifenden Grundlagen erarbeitet und immer wieder neu auf den Prüfstein gestellt. Als Behörde ist der Nationalpark auch rechtlichen Leitlinien verpflichtet. Sie sind in der UN-Behindertenrechtskonvention und im Teilhabegesetz vorgegeben. Doch der dritte und laut Svenja Fox entscheidende Faktor sei die Grundhaltung des Nationalparkteams. „Wir tun das, weil wir es wollen“, bekräftigt die Leiterin Natur- und Wildnisbildung. „Hier etwas aufzubauen, ist für uns alle, die am Nationalpark mitarbeiten, ein Privileg, auch weil wir großen Gestaltungsfreiraum in dem haben, was wir planen und barrierefrei wie inklusiv mitdenken‘“, ergänzt die 37-Jährige.
Barrieren sind jeweils andere
Der Bau des neuen Nationalparkzentrums fundiert ebenfalls auf dieser Grundhaltung. Das Haus ist nahezu komplett barrierefrei. Es erfüllt fast alle baulichen und inhaltlichen Vorgaben, lobt Fox, und ist mit einem Leitsystem ausgestattet: Sehbehinderte orientieren sich über Taststock, und Gehörlose finden die gesamte Ausstellung in Gebärdensprache übersetzt. Letztere ist seit 2015 im Nationalpark etabliert und zieht sich mittlerweile quer durch alle Angebote: Von Führungen bis zu Übernachtungen in der Wildnis ist die Nationalparknatur für gehörgeschädigte Personen ohne zusätzlich engagierten Dolmetscher erlebbar. Svenja Fox selbst beherrscht die Gebärdensprache. Sie hat schon im Teenageralter begonnen, sie zu erlernen. Der Kinofilm „Jenseits der Stille“, den sie sich als 12-Jährige mitihrer Mutter angeschaut habe, hätte sie dazu inspiriert. Dieser Geist treibe sie bis heute an – eigentlich das ganze Team, verrät die Umweltpädagogin.
Svenja Fox stammt aus Frankfurt. Sie hat Umweltmanagement mit Schwerpunkt Naturschutz studiert. Sie ist von Beginn an Teil des Nationalpark Schwarzwald, leitet das Team Natur- und Wildnisbildung. Ihre Schwerpunkte sind Barrierefreiheit und Inklusion, für mehr Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Die 37-Jährige beherrscht die Gebärdensprache, die sie bereits als Teenager erlernt und ihre Skills über die Jahre in diversen Kursen immer weiter ausgebaut hat.
Absprache vor Angebot
Inzwischen zählen sonderpädagogische Angebote zum Portfolio ihres Ressorts. Auch Bildungs- und Beratungszentren mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten besuchen den Nationalpark. „Schema F“ für alle Gäste gebe es nicht. Schließlich erlebt nicht jeder Mensch Wildnis gleich und Barrieren sind je nach Behinderung jeweils andere. Deshalb erstellt das Team der Natur- und Wildnisbildung erst nach Absprache mit interessierten Betroffenen differenzierte und individuell sinnvolle Angebote. Langjährige Erfahrung hilft dabei. So wissen Fox und ihr Team, dass Kinder mit geistiger Behinderung oder Autismus den Zugang zur Natur am besten mit allen Sinnen finden, für Gehörgeschädigte aber ein visueller Ansatz der passende ist, etwa bei einer Fotosafari mit Kamera durch den Nationalpark.
Barrierefreie Infrastruktur fällt schwerer
Inhalte barrierefrei auszugestalten, fiele dem Nationalpark bislang leichter als die barrierefreie Gestaltung der Infrastruktur, räumt Fox ein. Das läge in der Natur der Sache, in diesem Fall einer sich selbst überlassenen Natur. Sie schränkt an der einen Stelle Möglichkeiten ein, etwa durch umgestürzte Bäume oder Auswaschungen, dafür bietet sie an einer anderen neue an, die erst ausgespäht und ausgewiesen werden müssten. Ein dynamischer Prozess, an dem die Mitarbeitenden des Nationalparks mit Hochdruck arbeiten. Außerdem kümmere man sich um Kooperationspartner zur Bereitstellung von Hilfsmitteln etwa Zugmaschinen oder Schiebehilfen, die es Menschen im Rollstuhl erleichtern sollen, den Nationalpark selbstbestimmt und ohne Begleitperson zu erleben, auch bei steileren Wegen. Hier müssen versicherungsrechtliche Aspekte geklärt werden. Komplett barrierefrei befahrbar sind bislang der 1000-Meter-Weg und die Tonbachtalrunde mit Zugang zur Rangerstation. An Orten, die Menschen mit Rollstuhl besuchen können, sind auch die Rastplätze zugänglich gestaltet. Halbierte Bänke erlauben es, Tische zu unterfahren. Sie werden in der Schreinerei des Nationalparks hergestellt. Ob ein Weg für eine bestimmte Person barrierefrei ist, hängt auch von der Art der Einschränkung und deren persönlicher Fitness ab. Das sind individuelle Faktoren, die in ein Briefing ebenso einfließen. So navigieren sich kognitiv eingeschränkte Menschen selbstständig über leicht verständliche Informationstafeln durch den Nationalpark. Gehörlose sehen Hindernisse sowie Warnschilder und Blinde können viele Pfade im Nationalpark begehen, sie benötigen lediglich etwas mehr Zeit.
Arbeitskreis Inklusion
Kreativmotor zur Entwicklung neuer Angebote für Menschen mit Behinderung ist der Arbeitskreis Inklusion. Er besteht aus fünf Personen quer durch die Ressorts des Nationalparks. Mit dem querschnittsgelähmten Hans-Peter Matt ist auch ein externer Berater miteingebunden. „Ich vertrete den Bildungsbereich, eine Kollegin das Wegenetz, andere wiederum sind Spezialisten, die unsere Homepage so erstellen, dass sie über eine Sprachausgabe auch für Blinde zugänglich gemacht ist“, erklärt Fox. Das Gremium trifft sich mehrmals jährlich, um sich auszutauschen, Ideen zu diskutieren oder Workshops zu planen. Denn auch die Mitarbeitenden anderer Ressorts werden regelmäßig für das Thema Barrierefreiheit sensibilisiert. Ganz wichtig in diesem Kontext ist Fox auch die Bildungsarbeit. Sie hilft dabei, Barrieren im Kopf abzubauen, sie erst gar nicht entstehen zu lassen. „Dabei geht es uns auch darum, Themen wie Nachhaltigkeit, Biodiversität und Klima breit zu kommunizieren, denn um diese Themen als Gesellschaft und auch global zu bewältigen, müssen wir wirklich alle Menschen mitnehmen‘, appelliert sie, „und wir sollten sie einladen, eine zukunftsfähige Welt mitzugestalten.“