Die Natur als Haus Gottes zu nutzen, hat Tradition im Schwarzwald. Was vor über 45 Jahren unter Regie einzelner Kirchengemeinden begann, wird seit 2014 im Ökumenischen Netzwerk Kirche im Nationalpark Schwarzwald (ÖNKINS) organisiert – konfessionell und regional übergreifend. Das Netzwerk ist Partner des Nationalpark Schwarzwald. Es erweitert dessen Angebot um spirituelle und seelsorgerische Erlebnisse, die ebenfalls die Natur und deren Schutz in den Fokus rücken.
Zwei Monate nach Eröffnung des Nationalpark Schwarzwald im Januar 2014 wurde in Baiersbronn das Ökumenische Netzwerk Kirche im Nationalpark Schwarzwald (ÖNKINS) gegründet. In diesem Netzwerk arbeiten die Erzdiözese Freiburg, die Diözese Rottenburg-Stuttgart und die evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg eng zusammen. Der Grundstein dafür wurde Monate zuvor am Rande einer Erstkommunion gelegt – bei einem Gespräch zwischen Wolfgang Schlund und Helga Klär. Der spätere Leiter des Nationalparks war damals noch Kopf des Naturschutzzentrums am Ruhestein, und die Gemeindereferentin, heute eine der beiden ÖNKINS-Sprecher, betreute die Kommunionkinder, darunter Schlunds Sohn Lukas. Klär sah neue Chancen in der Idee einer Kirche im Nationalpark: „Eine Natur, die sich selbst überlassen ist, ist nah an der Schöpfungserzählung, im christlichen Verständnis also nah an Gott und dessen Auftrag an uns, die Schöpfung zu bewahren.“
Vier Kirchen, zwei Blinkwinkel, ein Ziel
Erklärtes Ziel des Netzwerks ist es, den Natur- und Umweltschutz im und um den Nationalpark über eine erlebnisorientierte Spiritualität und Seelsorge zu fördern. „Es war ein weiterer Zugang zur Nationalparkidee, durch den wir eine Zielgruppe mit unseren Botschaften ansprechen, die wir vermutlich nie erreicht hätten“, weiß Britta Böhr, stellvertretende Leiterin des Nationalpark Schwarzwald. Von dessen Seite wurde auch begrüßt, dass die Landeskirchen in der Konfliktwelt, die es bei Gründung des Großschutzgebietes gab, vermittelnd agierten. Dieses Miteinander der evangelischen und katholischen Christen, der Badener und Württemberger, war bis dato ein Novum: „Da brauchte es erst einen Nationalpark, damit wir die 15 Minuten über den Berg zur anderen Landeskirche schaffen,“ zitiert Böhr einen Teilnehmer der ersten Treffen. Das Netzwerk beschränkt sich dabei nicht nur auf christliche Kirchen. Getragen vom Ökumenischen Gedanken zeigt es sich auch offen für andere Glaubensgemeinschaften. Die Partnerschaft möchte der wörtlichen Übersetzung des griechischen Begriffs Ökumene gerecht werden. Sie lautet: die ganze bewohnte Erde.
Im Spirit der Natur
„Bei unseren spirituellen Wanderungen blicken wir hinein in die Natur und nehmen uns selbst als Teil von ihr wahr. So entstehen die Themen, die den Glauben und das Leben zugleich bewegen“, so Gerd Gauß, „denn was wir sehen, riechen, hören, schmecken, erspüren und erahnen ist Schlüssel dazu, welche Impulse wir setzen“. Diese sind inspiriert von einem weiten Blick über die Baumkronen oder hinein in urwüchsiges Dickicht mit verwitternden Wurzeltellern und bemoostem Totholz, vom Konzert der Vögel oder den zigfachen Nuancen an Grün, die von den Sonnenstrahlen ausgeleuchtet sind. „Die Natur ist ein Kraftort für uns Menschen, sie wertet nicht, macht uns ruhig und gelassen, oft auch demütig“, ergänzt der Altensteiger Gemeinde-Diakon. Je wilder sie sei, desto mehr verstärke sich dieser Effekt, weiß der Naturliebhaber, der sich augenzwinkernd auch als Grinden-Diakon bezeichnet. Viele schätzen das Gespräch, andere das Schweigen. Jede Gruppe findet ihren eigenen Modus. Doch bei allen wachse die Erkenntnis, dass es jenseits von Menschengeschaffenem noch so viel mehr gibt, eine größere Vielfalt. „Wer sich öffnen möchte, kann dadurch Spiritualität erfahren und erfüllt und zufrieden von solch einer Tour nach Hause gehen“, verspricht Gauß.
Nach beruflichen Stationen in Freiburg, Mannheim und Freudenberg am Main ist Helga Klär Ende der 1990er-Jahre wieder in ihrer Heimat im Achertal gelandet. Schon als Kind war Klär auf der heutigen Fläche des Nationalparks unterwegs, ob in den Wanderschuhen oder auf Skiern. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kappelrodeck. Dort engagierte sich die ausgebildete Religionspädagogin und Supervisorin zunächst in der Förderschule, später stieg sie als Gemeindereferentin in die Seelsorge im Achertal ein. In dieser Funktion betreute sie auch Kommunionkinder, u.a. Lukas Schlund, dessen Vater Wolfgang noch vor Gründung des Nationalparks eine Zusammenarbeit mit den Kirchen anregte. Diese Idee nahm Klär gerne auf. Sie ist Mitinitiatorin des Ökumenischen Netzwerks der Kirche im Nationalpark und Sprecherin für die katholische Seite im Netzwerk.
Helga Klär
Die Ausrichtung auf Tropenökologie führte Britta Böhr nach Panama und Brasilien. Promoviert hat sie an der Universität in Lissabon. Die Ökophysiologie von Flechten war Thema ihrer Doktorarbeit, bis heute Herzensthema der Pfälzerin. Naturschutz und im Naturmanagement rückte in ihren Fokus, Freiburg wurde ihre neue Heimat. An der FVA – Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg – koordinierte Böhr zunächst das strategische Nachhaltigkeitsmanagement, später die Entwicklung der Waldnaturschutzkonzeption der Landesforstverwaltung. Sie begleitete den Entstehungsprozess des Nationalpark Schwarzwald aus forstlicher Seite und engagierte sich mit der Universität Freiburg bei sozialwissenschaftlichen Projekten, in denen es bereits um die Beteiligung von Stakeholdern ging. Diese Erfahrungswerte konnte Böhr nach ihrem Wechsel von der FVA in die Nationalparkverwaltung gut einsetzen. Dort leitet sie den Fachbereich Nationalparkplanung, Regionale Entwicklung und Tourismus und ist seit einem knappen Jahr stellvertretende Leiterin des Großschutzgebietes. Britta Böhr lebt mit Mann und zwei Töchtern in Hausach im Kinzigtal.
Britta Böhr
Projekte und Pilgerausbildung
Glaube und Natur – diese Kombination ist Nenner aller Projekte von Kirche im Nationalpark. Eines ist der Kreuzweg der Schöpfung. Er verbindet die Leiden Jesu mit den Leiden der Natur durch unseren Umgang mit ihr. Die Wanderausstellung ist auf Roll-Ups gedruckt, dadurch mobil und kann ausgeliehen werden. Ganz aktuell hat das Netzwerk eine Broschüre über das Kloster Allerheiligen aufgelegt, über die sich Besucherinnen und Besucher dessen Geschichte selbst erschließen können. Seine Ruinen stehen im oberen Lierbachtal, zwischen Oppenau und Ottenhöfen, inmitten der Nationalparknatur. Das Netzwerk bildet auch Pilgerführerinnen und Pilgerführer aus, die selbst Gruppen auf dem mittelbadischen Jakobusweg oder auf den Routen im Nationalpark begleiten möchten. In drei aufeinander aufbauenden Modulen an drei Wochenenden lernen Anwärter, wie sie eine Gruppe seelsorgerisch begleiten und gleichzeitig sicher über den Berg führen. Sie werden in Erste Hilfe geschult und darin angeleitet, Impulse zu setzen, die das Herz ansprechen und damit den christlichen Gedanken transportieren. Zuletzt wenden sie das Erlernte an und führen eine Gruppe auf einer selbst gestalteten, spirituellen Wanderung oder Pilgerreise.
Seit April 2021 versteht sich der Naturfreund Gerd Gauß neben seiner Funktion als Gemeindediakon auch als Grinden-Diakon. Der Schwarzwälder ist das Pendant von Helga Klär: Er ist Sprecher im Ökumenischen Netzwerk der Kirche im Nationalpark für die evangelische Seite. Außerdem teilt er sich mit der Gemeindereferentin die Projektstelle im Netzwerk. Diese Position wurde dem heute 54-Jährigen auch dank seiner räumlichen Nähe angeboten. Gauß ist seit Ende der 1990er-Jahre nach kurzen Stationen im Berner Oberland und in Oberösterreich als Gemeindediakon in seinem Heimatkirchenbezirk Calw-Nagold tätig, genauer gesagt, in Altensteig. Dort engagierte er sich zunächst u. a. in der Jugendarbeit, in der Erwachsenenbildung, auch in der Hospiz- und zuletzt verstärkt in der Flüchtlingsarbeit. Gauß verbinden viele Kindheitserinnerungen mit der Natur des Schwarzwalds. Als Achtjähriger habe er bei einer Radtour mit seinem früh verstorbenen Vater und seinem älteren Bruder vom Nagoldtal aus über Murgtal, Schwarzenbach-Talsperre und Ruhestein zum Kloster Reichenbach und Besenfeld zurück viele Stationen seines heutigen Arbeitsweges kennengelernt.
Gerd Gauß